Mähdrescher fahren noch tief in der Nacht
Sachsen-Anhalt: Nach langer Zwangspause läuft die Ernte auf Hochtouren - doch der Weizen taugt oft nur als Futter
Schon von weitem ist die große Staubwolke über den Feldern bei Calbe zu sehen. Mähdrescher fressen sich seit den Morgenstunden durch den Weizen, Reihe um Reihe verschwinden die Halme, zurück bleibt ein goldgelbes Stoppelfeld. »Wir müssen jede Minute des trockenen Wetters nutzen, gestern sind wir bis nachts um halb eins gefahren«, sagt Steffen Gerber und steigt auf seinen Traktor. An Erntetagen wird jede Hand gebraucht, da fährt auch der Geschäftsführer der örtlichen Agrargenossenschaft.
Seit Sonnabendnachmittag können die Maschinen nach der wetterbedingten Zwangspause wieder auf die Felder. Noch zu Beginn der Getreideernte Anfang Juli hatte der Landesbauernverband von einer positiven Ernteerwartung gesprochen. Doch die Regenfälle der vergangenen zwei Wochen haben den Landwirten das Leben schwer gemacht. Das Getreide war nach trockenem Frühjahr erntereif, aber dann kam der Regen.
In Sachsen-Anhalt werden etwa 1,2 Millionen Hektar landwirtschaftlich genutzt, rund eine halbe Million Hektar davon für den Getreideanbau. Die natürlichen Bedingungen für die Landwirtschaft in Sachsen-Anhalt sind überwiegend gut. Zu den fruchtbarsten Gebieten Deutschlands gehören das Löß-Schwarzerdegebiet der Magdeburger Börde sowie die Lößgebiete des Halleschen Ackerlandes, der Querfurter Platte und des Köthener Ackerlandes. Die Ackerzahlen dieser Gebiete liegen zwischen 80 und 100. Wesentlich weniger ertragreich sind die Sand- und Lehmböden der Altmark sowie die Sandgebiete der Dübener Heide und des Flämings. Die Winter in Sachsen-Anhalt sind in der Regel mild, die Sommer feucht-warm, die Jahresdurchschnittstemperaturen liegen bei etwa neun Grad im Tiefland. dpa/nd
Auch auf den Feldern der Agrargenossenschaft Calbe hat das Wasser seine Spuren hinterlassen. Auf weiten Flächen ist das Getreide ins Lager gegangen. So nennen es die Bauern, wenn Ähren flach am Boden liegen und der Mähdrescher sie nur schwer ernten kann. Dieses Lagergetreide ist weniger ertragreich und hat eine schlechtere Fallzahl, mit der die Backfähigkeit des Getreides beschrieben wird.
Steffen Gerber rollt auf den Hof, stoppt auf der Waage. Eine Probe des Weizens wird untersucht, während die Fracht gewogen wird. Ein Großteil des Weizens taugt in diesem Jahr nur als Futtergetreide. »Aber im Vergleich zu den Betrieben im Harz haben wir es noch gut. Für Mais, Rüben und unsere Sonderkulturen waren die ergiebigen Regenfälle sogar gut. Wir brauchten keine Bewässerung.«
Die Agrargenossenschaft Calbe baut viele solcher Sonderkulturen an: Thymian, Bohnenkraut, Oregano, Fingerhut, Majoran und Zwiebeln. Auf 200 Hektar wachsen Arznei- und Gewürzpflanzen, auf 270 Hektar Zwiebeln. Diese Kulturen werden von Hand bearbeitet. Bis auf ein Feld mit Majoran gedeiht alles nach Plan. Auf dem Majoranschlag hatte Starkregen im Mai Verschlammung verursacht. »Dort lagen sogar die Wurzeln frei. Aber wir haben den Boden mit der Hacke bearbeitet und die Verkrustungen beseitigt, so dass die Pflanzen nur etwas in ihrer Entwicklung verzögert sind.«
Am Wochenende konnten die Calbenser den ersten Majoran vom Feld in die Trockenhalle bringen. »Wir müssen unsere Trocknungsanlage optimal ausnutzen, damit wir im September mit der Digitalisernte beginnen können«, erklärt Gerber. Nach jeder Kultur werde die Anlage gründlich gereinigt. Sobald der Digitalis, also der Fingerhut, getrocknet ist, wird eine besonders gründliche Reinigung erforderlich sein. »Es dürfen keine Rückstände vom Fingerhut ins Bohnenkraut oder den Thymian gelangen.« Aus dem Digitalis, auch Fingerhut genannt, werden Arzneimittel gegen Herzkrankheiten gewonnen. Die Reinigung der Anlage dauert bis zu acht Wochen, nachdem der letzte Fingerhut getrocknet wurde.
Während Steffen Gerber erzählt, haben die Mähdrescher den Schlag abgemäht. Darüber kreisen Rotmilane, die nach Mäusen suchen, die ihre Deckung verloren haben. Ein Traktor mit Hänger fährt neben den Mähdreschern. Das Getreide wird aus dem Bunker, dem großen Bauch eines Mähdreschers, umgeladen auf den Hänger. Der zweite Mähdrescher fährt in Richtung Feldrand, legt das Schneidwerk auf einem Hänger ab, den Gerber an seinen Traktor koppelt und zum nächsten Schlag fährt. Jede Minute zählt. Bis zum nächsten Regen muss so viel wie möglich von der Ernte in der Scheune sein. dpa/nd
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