Verwarnung nach Volksverhetzung

Justizmitarbeiterin rastete aus und beleidigte in der Schlange eine Familie rassistisch

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.

Was ist bloß in diese Frau gefahren? Das fragte sich die 52-Jährige selbst immer wieder am Mittwoch vor Gericht. In der Schlange vor einem Flaschenautomaten eines Supermarkts war sie Monate zuvor ausfällig gegenüber einer Familie geworden und hatte sie rassistisch beleidigt.

Der 12. März war ein verkaufsoffener Sonntag. Am Flaschenrückgabeautomaten der EDEKA-Filiale am Heckerdamm hatte sich eine Schlange gebildet. Eine Frau tippte dem Mann, der vor ihr stand, auf die Schulter und bat ihn, ihr den Vortritt zu gewähren, weil sie nur drei Flaschen hatte. Der Mann lehnte mit dem Hinweis auf seine drei Kinder, die mit ihm warteten, ab. Die Frau soll daraufhin gerufen haben: »Der Scheißtürke will mich nicht vorlassen ... Hitler hätte das, was er mit den Juden gemacht hat, mich euch machen sollen ... Scheißtürke, am liebsten würde ich ihn und seine Kinder umbringen ...« - und Ähnliches mehr. Als die Partnerin des Mannes hinzukam, fragte sie: »Wie kann eine deutsche Frau mit so etwas zusammen sein?« Daraufhin rief der Mann die Polizei. Die Frau reagierte darauf mit einer Warnung: Sie sei bei der Justiz und werde schon Mittel und Wege finden, um ungestraft aus der Sache rauszukommen.

Angeklagt ist Silvia K. nun wegen Volksverhetzung und Beleidigung. In der Gerichtsverhandlung am Mittwoch schüttelt K. immer wieder den Kopf. Sie verstehe sich selbst nicht. »Es tut mir alles so schrecklich leid.« Der Stress sei schuld. Stress auf der Arbeit, Stress im Alltag, Stress im Fernsehen. Da gebe es nur Mord und Totschlag, IS und so. Da müsse man doch verrückt werden.

Dieser Sonntag im März, sagt sie, der hatte es in sich. Sie kam von einer Geburtstagsfeier, vielleicht habe sie »ein Schnäpperken zu viel« hinter die Binde gekippt. Anschließend habe sie noch eine Angehörige trösten wollen, da eine nahe Verwandte gestorben war.

Trotzdem kann sich Silvia K. nicht erklären, wie sie die ganzen Beleidigungen hatte aussprechen können. Der Richter fragt auch nicht weiter nach. So kommt er zur Entscheidung: Die Angeklagte wird verwarnt, bei Androhung einer Geldstrafe von 4000 Euro. K. soll darüber hinaus einen Entschuldigungsbrief schreiben und an den ältesten Sohn des Geschädigten senden, der am meisten unter den Beleidigungen gelitten habe. Schließlich muss Silvia K. auch noch mit dienstrechtlichen Konsequenzen rechnen.

Beleidigungen können teuer sein. Sie werden in der Regel nur auf Antrag verfolgt. Besonders, wenn Staatsdiener Ziel verbaler Entgleisungen sind. In Berlin wurden im vergangenen Jahr rund 500 rassistische Beschimpfungen registriert. Die wenigsten, geschätzt etwa fünf Prozent, werden zur Anzeige gebracht, und so bleibt der Alltagsrassismus weiter ungestraft.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -