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Auf dem Weg in die Schuldenfalle

Wiedereinführung von Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer in Baden-Württemberg und Pläne in NRW lassen Debatte über Uni-Maut wieder aufleben

  • Tino Brömme
  • Lesedauer: 5 Min.

Weit entfernt, ein Thema von gestern zu sein, prägen Studiengebühren wieder die öffentliche Debatte über gleiche Bildungschancen. Das jüngste Beispiel ist Nordrhein-Westfalen, dessen neuer Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und FDP-Partner Christian Lindner in ihrem Koalitionsvertrag die Wiedereinführung der Studiengebühren vereinbart haben - und zwar für Studierende von außerhalb der EU und in Höhe von 1500 Euro pro Semester.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) protestierte dagegen, weil sie »vor allem für mehr Bürokratie sorgen und kaum Effekte für eine bessere Lehre haben« würden, und Studierendenvertreter Cristian Delgado (Jusos), weil er sie für »rassistisch und menschenverachtend« und für eine »neoliberale Form von ›Ausländer raus‹« hält. Später nahm Delgade diese Äußerung allerdings zurück.

Das grün regierte Baden-Württemberg war im Mai vorangegangen, und Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) garnierte die 1500 Euro Gebühren für Nicht-Europäer mit »Ausnahmeregeln« für die Ärmsten und »Bestandsschutz« für die bereits im Land der Häuslebauer Anwesenden. Die AfD von Mecklenburg-Vorpommern forderte im Juni dasselbe, das kleine Bundesland beherbergt derzeit aber lediglich knapp 2500 Studierende aus Nicht-EU-Ländern.

Ein Blick ins europäische Ausland zeigt, dass die Teilwiedereinführung der Uni-Maut durchaus nicht schicksalhaft ist. In Belgien etwa besetzten im Mai dieses Jahres Studierende in Brüssel die beiden Rektorate der Freien Universität von Brüssel (VUB) und der Katholischen Universität von Leuven (KUL) für sechs Tage und verhinderten damit, dass die Gebühren für ihre Kommilitonen ohne EU-Pass erhöht werden. In Belgien existieren zwar Studiengebühren für Ausländer, die zwischen 570 und 835 Euro pro Studienjahr liegen, der Plan war allerdings, sie bis auf 12 500 Euro anzuheben.

Die Wiedereinführung von Studiengebühren für sogenannte Bildungsinländer, also für Studierende, die ihre Hochschulzugangsberechtigung in Deutschland erworben haben, stehen zur Zeit noch nicht zur Debatte, obwohl der Bertelsmann-Thinktank CHE (Centrum für Hochschulentwicklung) in Gütersloh nicht müde wird, in diesem Loch zu kratzen. In seinen Publikationen ist die Rede von »sozialverträglichen« Gebühren und Studienkrediten. Die Motivation liegt auf der Hand: Der Mutterkonzern Bertelsmann ist in den USA ein bedeutender Betreiber von Privathochschulen, denen die Preiskonkurrenz staatlicher Universitäten ein Dorn im Auge ist - bei ihrer Expansion in Europa und insbesondere in dem stark wachsenden Markt für Onlinekurse. Bereits Ende der 1990er Jahre zählte das CHE zu den medial besonders präsenten Befürwortern des Bezahlstudiums. Ab 2005 führten schließlich sieben westdeutsche Bundesländer Gebühren ein. Populär waren die Gebühren im Wahlvolk nie, weshalb bis 2014 in allen betreffenden Ländern die Uni-Maut wieder abgeschafft wurde.

Was nicht heißt, dass sie heute politisch nicht mehr opportun ist. Ein anderes Argument für Studiengebühren ist nämlich ihre Rolle in der Finanzökonomie. Nicht zufällig war Nicholas Barr von der London School of Economy, einer wichtigen Londoner Wirtschaftshochschule, gern gesehener Gast beim CHE. Er hat mitgewirkt an der Entwicklung des EU-Studiendarlehnens für Masterkurse, das Ende 2015 klammheimlich lanciert wurde und nach Angaben der Europäischen Kommission »bis 2020 200 000 Studenten unterstützen soll, indem es bis zu drei Milliarden Euro mobilisiert, die durch 500 Millionen Euro der EU abgesichert werden«. Die Verteilung dieser Banksubventionen aus Steuergeldern geht schrittweise voran und erscheint immer dann in der Presse, wenn eine neue Vereinbarung mit einer Bank, zuletzt der Microbank in Spanien und der Volksbank (BP) in Frankreich, bekanntgegeben wird.

Ausgerechnet in Großbritannien, dem Mutterland der neoliberalen Hochschulpolitik in Europa, wird im Zuge der EU-Austrittsverhandlungen und nach dem äußerst knappen Wahlsieg der Konservativen Partei unter Theresa May über die Abschaffung der Studiengebühren diskutiert. Peter Scott, Kolumnist im der Labour Party nahestehenden »Guardian«, fasste die Position der Gebührengegner in einem Satz zusammen. Die Rückkehr zum gebührenfreien Studium in England ergebe »sowohl ökonomisch, als auch sozial Sinn«.

Der Idee des Labour-Führers Jeremy Corbyn folgend, sieht Scott das Ende der »Inselborniertheit« nahen, die die Briten seit 1998 auf den hochpreisigen, marktversessenen Kurs in der Hochschulpolitik geführt hat. Studenten zahlen mitunter mehr als 18 000 Pfund (rund 20 000 Euro) Studiengebühren pro Jahr (die Gebühren für Ausländer sind noch einmal höher); der daraus resultierende Schuldenberg ist mittlerweile auf 100 Milliarden Pfund angewachsen. Es brauchte offenbar erst den Brexit, damit zumindest ein Teil der britischen Politik einsieht, dass dieses System der Hochschulfinanzierung für die öffentliche Hand ungemein teuer ist, denn die hohen Gebühren müssen ohnehin vom Staat vorgeschossen werden, und ein großer Teil - wahrscheinlich die Hälfte - wird nie zurückgezahlt werden können. »Viele«, schreibt Scott, »werden nie genug verdienen, um auf die Stufe der Rückzahlungsverpflichtung zu kommen, oder sie wandern aus und ihr Kredit muss abgeschrieben werden - ein Punkt, an dem er zur ›wahren‹ öffentlichen Ausgabe wird.«

Dass Deutschland diese Überschuldungsfalle vermeiden konnte, ist sicher kein Verdienst von Politikern, die bewusst anderes im Sinne haben als Wahlsiege. Unbenommen bleibt, dass man in Deutschland als Student entweder reich oder bitterarm sein muss, um sein Studium finanzieren zu können: Wer aus reichem Elternhaus stammt, muss sich über das Geld nicht sorgen, und wer am unteren Ende der sozialen Skala lebt, dem hilft wenigstens das BAföG über die Runden. Der Hochschul-Bildungs-Report, eine neue Studie des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft und der Unternehmensberatung McKinsey, die im Herbst erscheinen wird, bestätigt erneut eine längst bekannte Tatsache: Von 100 Kindern aus Akademikerfamilien beginnen 74 ein Studium; von 100 Kindern aus Familien ohne studierte Eltern sind es dagegen nur 21. Noch immer entscheidet die familiäre Herkunft über den Bildungsweg.

Die jüngste Sozialerhebung des Studentenwerkes weist zudem auf ein anderes Problem hin: Nicht nur erhalten viel zu wenige (15 Prozent) Unterstützung durch das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG), auch sind die Bedarfssätze viel zu niedrig. »Selbst wer den Höchstsatz von derzeit 735 Euro bekommt, kann damit die tatsächlichen Kosten von Studium und Lebensunterhalt nicht decken«, sagte der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller im Juni dieses Jahres. Außerdem haben Studierende durchweg deutlich höhere Ausgaben als bisher angenommen. Die Ausgaben steigen mit dem Alter deutlich an und hängen von der Wohnform und davon ab, ob Kinder betreut werden. Folglich muss ein relativ großer Teil der Studierenden mit sehr niedrigen Einkommen zurechtkommen. »Die Ausgaben von einkommensschwachen Studierenden (liegen) deutlich unterhalb des BAföG und ALG II-Satzes. Hier kann man von verdeckter Armut sprechen«, sagt Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks.

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