Das Wasser steht bis an die Ähren

Nach wiederholtem Starkregen befürchten Bauern in der Prignitz starke Ernteeinbußen

  • Philip Blees
  • Lesedauer: 4 Min.

»Von Ernten ist hier keine Rede«, sagt Landwirt Hellmuth Riestock, während er auf einem schmalen Weg zu seinen Feldern fährt. Guckt man sich um, so sieht man, was er meint: Die Maisfelder werden langsam braun, da die Wurzeln der Pflanzen verfaulen. Sie vertrocknen im Wasser. Das Getreide auf den Feldern fällt immer mehr in sich zusammen. Am glücklichsten darüber sind wohl die »Erntehelfer«, wie sie Hellmuth Riestock, Geschäftsführer der Rhinmilch GmbH, mit einem Schmunzeln nennt. Es handelt sich um eine Schar Gänse, die sich nun vom verrottenden Roggen ernährt. Hier kann nur noch Sarkasmus helfen. Das Wasser, das die Felder überschwemmt hat, sieht man am deutlichsten, wenn man zu den Grünflachen hinüberschaut. Dass hier Futter für seine Kühe wachsen soll, ist schwer zu begreifen. Die Äcker sehen eher aus wie eine Seenlandschaft in Mecklenburg. Erste Möwen lassen sich nieder.

Der Landwirt aus Fehrbellin (Ostprignitz-Ruppin) ist jedoch nicht allein mit diesem Problem: »Wir sind nicht die einzigen Betroffenen. Alle Landwirte hier sind es mehr oder weniger.« Rund ein Drittel seiner Ernte wird er verlieren. Das entspricht einem Verlust von 400 000 Euro bei Getreide und Mais zum Verkauf und von Futtermittel im Wert von 600 000 Euro, die nachgekauft werden müssen. Er wird also in dieser Saison eine Million Euro weniger Umsatz machen können. Auf ungefähr 1000 Hektar stehen seine Felder - an manchen Stellen knietief - unter Wasser. »Mit technischen Mitteln ist dem nicht mehr beizukommen«, sagt der Geschäftsführer der Rhinmilch GmbH, die 86 Personen beschäftigt und normalerweise einen Jahresumsatz von 13 Millionen Euro verzeichnet. Die technischen Geräte, etwa die Mähdrescher, sinken auf den nassen Böden einfach ein. Wirtschaftlich gesehen lohnt es sich nicht, Reparaturen am Gerät in Kauf zu nehmen, um trotzdem zu ernten. Die würden mehr kosten, als mit dem Getreide Gewinn gemacht werden kann.

Das Agrarunternehmen, das auch 1700 Rinder hält, hat schon zwei harte Jahre hinter sich. Genau wie andere Betriebe schrieb Hellmuth Riestock keine schwarzen Zahlen. Der Hauptgrund dafür war der niedrige Milchpreis. Zwei Jahre lang kostete der Liter deutlich weniger als die Produktion. In Brandenburg haben deswegen 90 Betriebe die Milchproduktion aufgegeben. Dieses Jahr stabilisierte sich der Preis bei 36 Cent und ist so wieder profitabel.

Nun hat der dauernde Starkregen seine Ernte vermiest. In den letzten vier Wochen fielen 400 Liter Regen auf einen Quadratmeter seiner Felder. Zu Höchstzeiten waren es 180 Liter in zwei Tagen. Zum Vergleich: Im Durchschnitt fallen in der Region 500 bis 600 Liter im ganzen Jahr. Das »ist schon ein Ausnahmefall«, sagt Sebastian Scholze, der Pressesprecher des Landesbauernverbandes (LBV), dazu.

Erst habe der Regen Hellmuth Riestock und die anderen Landwirte gefreut. »Es hat aber einfach nicht aufgehört«, sagt der Landwirt. Der Boden konnte dann kein Wasser mehr aufnehmen und es kam zu Überstauung. Er macht dafür die Wasser- und Bodenverbände der Region und des Landes verantwortlich, denn die hätten nicht rechtzeitig reagiert. Bei besserer Kommunikation hätte es die Möglichkeit gegeben, das Wasser abzuleiten. Havel und Elbe hätten die Wassermassen aufnehmen können und so die Felder - wenigstens teilweise - entlastet.

Da die regionalen Verbände alle ihre eigenen Haushalte haben, ist es schwierig, ein lokales Problem überregional zu lösen. »Der Weg ist zu lang«, kritisiert Hellmuth Riestock die Kommunikation mit den Verbänden. Es seien Absprachen nicht eingehalten worden. Der zuständige Wasser- und Bodenverband Rhin-/Havelluch hat auf Nachfrage des »nd« zu den Vorwürfen bis Redaktionsschluss nicht Stellung genommen.

Das Land Brandenburg hat den geschädigten Landwirtschaftsbetrieben Hilfe zugesichert. In einer Mitteilung erklärte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD): »Die Landesregierung wird die Landwirte nicht allein lassen.« Die Schäden an den Feldern sollen so schnell wie möglich dokumentiert werden.

Der LBV hat die »Hilfe gegen das Desaster« begrüßt. »Das wird besonders den Landwirten helfen, denen unter Umständen ein Totalausfall der Ernte droht« sagt Henrik Wendorff, Präsident des Verbands.

Für Hellmuth Riestock könnte das heißen, dass sein Unternehmen seinen Ernteverlust doch noch ausgleichen kann. Viel mehr würde er sich allerdings wünschen, dass die Arbeit in der Landwirtschaft von der Gesellschaft mehr wahrgenommen wird. Lebensmittel seien für viele Menschen halt »einfach da«.

Auch Verbandssprecher Scholze sieht hier Handlungsbedarf. »Es gibt wenig Verständnis für die Arbeit«, sagte er dem »nd«. Das liege auch an Veränderungen in der sozialen Struktur. Statt 50 Prozent wie in den 1950er Jahren, arbeiten heute viel weniger Menschen in der Landwirtschaft. Es gibt ein großes Nachwuchsproblem. Bei Rhinmilch können die drei Ausbildungsstellen nicht besetzt werden. Es gab nur einen Bewerber.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.