Ein Denkmal vom Sockel gestürzt
Der jamaikanische Sprintkönig Usain Bolt wird in seinem letzten WM-Einzelfinale über 100 Meter nur Dritter
Irgendwie hatte es sich schon die ganze Saison über angedeutet, dass der Sprintkönig Bolt nicht so recht in Tritt kommen würde, jedenfalls nicht so, wie man das bei seinen Triumphen in den Vorjahren gewohnt war. Sein vierter WM-Sieg auf der kürzesten Sprintstrecke nach 2009, 2013 und 2015 war in Gefahr geraten. Der Weltrekordler mit der sagenhaften Zeit von 9,58 Sekunden nach nur 41 Schritten, aufgestellt am 16. August 2009 im WM-Finale in Berlin, der damit der bislang einzige Mensch ist, der die 100 Meter in weniger als 9,6 Sekunden lief, hatte im Vorfeld der Londoner WM nur einmal die 10-Sekunden-Marke geknackt: am 21. Juli in Monaco mit 9,95 Sekunden. Da hatte die Konkurrenz schon mehr zu bieten.
So gesehen kam seine siebente Niederlage nach 87 Finalrennen über 100 und 200 Meter seit 2008 nicht überraschend. Geschlagen wurde Bolt dabei ausgerechnet vom wiederholten Dopingtäter aus den USA, Justin Gatlin, gegen den er auch seine letzte Niederlage vor dieser WM 2013 in Rom erlitt. Damals gewann Gatlin mit 9,94 Sekunden vor Bolt (9,95).
Diesmal endete im Londoner Olympiastadion das WM-Duell der beiden ungleichen Sprinter mit einem Sieg Gatlins in 9,92 Sekunden vor seinem 21-jährigen Landsmann und Geheimfavoriten Christian Coleman (9,94) und Bolt (9,95), der einmal mehr einen miserablen Start hinlegte.
Aber auch als großer Verlierer dieses Abends wurde er mit endlosen Sprechchören so enthusiastisch gefeiert, als hätte er gerade sein zwölftes WM-Gold gewonnen. Ganz im Gegensatz zu Gatlin. Der 35-Jährige, der sich zwölf Jahre nach seinem Goldlauf bei den WM in Helsinki seinen zweiten WM-Titel auf der prestigeträchtigsten Sprintstrecke holte, zog schließlich die Konsequenz aus den unüberhörbaren Buhrufen und dem gellenden Pfeifkonzert der über 50 000 Zuschauer und verzichtete auf die Ehrenrunde. Schon zweimal war der Olympiasieger von 2004 wegen Dopingvergehen gesperrt worden, erstmals 2001. Als Wiederholungstäter entging er 2006 einem lebenslangen Bann nur deshalb, weil er als Kronzeuge gegen seinen Ex-Trainer aussagte. Die achtjährige Wettkampfsperre wurde schließlich halbiert, so dass er 2010 wieder auf die Bahn zurückkehrte.
Für Bolt, der am vorletzten WM-Tag noch das 4x100-m-Staffelrennen bestreiten wird, ist nach dieser WM endgültig Schluss. Er freue sich auf seine baldige Sprintrente. »Ich bin aufgeregt, endlich normal leben zu können, aufzustehen, wann ich will, und zu wissen, dass ich kein Training habe. Ich kann tun und lassen, was ich will. Natürlich werde ich den Sport vermissen. Ich weiß nicht, wo ich hin will oder wohin mich meine Karriere führen wird, aber es wird eine spannende Zeit folgen.«
Auch wenn der Sprintkönig seine wohl schmerzhafteste Niederlage erlitt, ihm die Krönung seiner unglaublichen Karriere versagt blieb und das Denkmal nun vom Sockel gestürzt wurde: Die Fans werden den Supersprinter und Showman vermissen, seinen prägnanten wie eigenartigen Laufstil, der aussieht, als würde sein Oberkörper nicht den schnellen Beinen folgen können. Doch nach mäßigem Start distanzierte er mit seinen großen Schritten im zweiten Drittel des Rennens meist die Konkurrenz. Vermissen wird man seine legendär gewordene Pose, wenn er den linken Arm ausstreckt, den rechten rückwärts anwinkelt und mit beiden Zeigefingern nach vorne zielt.
Der Mann, der mehr als ein Jahrzehnt das »Gesicht der Leichtathletik« war, der zur Legende aufgestiegen ist, der schon mit 15 Jahren immer der Schnellste sein wollte und beseelt war aufs Gewinnen, der das Leben mit all seinen Lastern liebte - dieser Mann »will nun einfach Mensch sein«, wie er sagt. Ob ihm das als Millionär tatsächlich gelingt?
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