Spur der Pflastersteine

Prozess um Überfall auf Wohnung des sächsischen Justizministers begann in Leipzig

  • Hendrik Lasch, Leipzig
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie weit können DNA-Spuren reisen? Roman W. wohnt in Meckenheim, gut fünf Stunden Fahrtzeit von Leipzig entfernt. Er sei noch nie in der Stadt in Sachsen gewesen, lässt der 30 Jahre alte Autohändler mit kirgisischen Wurzeln seinen Anwalt erklären. Wer im Freistaat Justizminister sei, habe er nicht gewusst, lässt er anfügen - bis er von sächsischen Ermittlern beschuldigt wurde, an einem Überfall auf das Kabinettsmitglied beteiligt gewesen zu sein. Ein Pflasterstein, der nach der Attacke auf die Privatwohnung des CDU-Mannes Sebastian Gemkow am 24. November 2015 gefunden wurde, trug eine Spur mit W.s Erbgut. Nun sitzt er in Saal 218 des Amtsgerichts Leipzig und hofft, dass sich »der Irrtum aufklären wird«. Möglicherweise sei seine DNA in einem Auto nach Leipzig gelangt, das er zuvor dorthin verkauft habe, ließ W. erklären.

Ein Angeklagter, der womöglich nicht am Tatort war - das ist die jüngste Volte in einem schon bisher merkwürdigen Fall. Er nahm seinen Ausgang, als in einer Nacht im Voradvent zunächst mehrere Steine die Fenster der Hochparterrewohnung durchschlugen und dann Christbaumkugeln, die mit übel riechender Buttersäure gefüllt waren. Obwohl Steine auch auf das Schlafzimmerfenster flogen, blieben Gemkow, seine Frau und ihre beiden kleinen Kinder unverletzt. Die Chemikalie habe die Wohnung aber unbewohnbar gemacht, heißt es in der Anklage. Zudem sei der Politiker, obwohl unverletzt, doch »sichtlich mitgenommen« gewesen, sagte ein Polizist als Zeuge. Familie Gemkow verließ noch in der Angriffsnacht ihre Wohnung und kehrte nicht wieder dorthin zurück.

Für manche Politiker und Behörden war schnell klar, wer als Täter in Frage kam. »Linksextremisten erobern immer mehr Stadtraum«, schimpfte Michael Kretschmer, Generalsekretär der sächsischen CDU, am Tag der Tat. Das Landesamt für Verfassungsschutz kam 2016 in einer Analyse ebenfalls zum Schluss, »Vorgehensweise und das Zielobjekt« der Tat sprächen für einen linksextremistischen Hintergrund; Gemkow gelte dort als »Repräsentant des ›Repressionsapparates‹«.

Es kam dann ganz anders. Die Staatsanwaltschaft Leipzig klagte im September 2016 neben dem Meckenheimer Autohändler W. den gleichaltrigen Leipziger Thomas K. an - der politisch ganz rechts verortet wird. Er soll der Hooliganszene des 1. FC Lok Leipzig angehören und wurde nach Angaben des Portals »tag24.de« im Jahr 2008 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, weil er am Überfall von Neonazis auf einen Bus mit Besuchern eines antirassistischen Konzerts beteiligt war. Von dieser Wendung erfuhr die Öffentlichkeit aber zunächst nichts.

Der Anschlag auf die Wohnung hatte vor 18 Monaten bundesweit für Schlagzeilen und Entsetzen gesorgt. Politiker sprachen damals von einer besorgniserregenden, neuen Stufe gesellschaftlicher Verrohung. Trotz des großen öffentlichen Interesses für den Fall informierte die Staatsanwaltschaft wochenlang nicht über die Entwicklung - angeblich, weil kein Journalist nachgefragt habe. Die Landespressekonferenz Sachsen verlieh der Behörde dafür 2017 den Negativpreis »Tonstörung«.

Nun sitzen sich im Amtsgericht Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz als Vertreter des »Preisträgers« sowie die Angeklagten W. und K. gegenüber - von denen einer seine Unschuld beteuert und der andere das Gericht für befangen erklären lassen will. Verteidiger Mario Thomas begründete das mit dem Umstand, dass Richterin Ute Fritsch die Anklage zuließ, obwohl es für eine Beteiligung seines Mandanten keine Beweise außer einer DNA-Spur an einer Verpackung für Christbaumkugeln gebe, die vor der Wohnung gefunden wurde. Ein plausibles Tatmotiv gebe es nicht, fügte er hinzu. In den Medien war vorab indes auf Äußerungen Gemkows verwiesen worden, der sich kritisch über Pegida und Legida geäußert hatte und eine »Verrohung« der Demonstrationskultur angeprangert hatte - was ihn für die rechte Szene zum Feindbild hätte werden lassen können. Spekuliert wird allerdings auch, dass die Attacke gar nicht Gemkow treffen sollte, sondern ein linkes Klamottenlabel, das in der Nähe von dessen Wohnung residierte. Nächsten Montag wird der Minister als Zeuge gehört. Insgesamt sind für die Verhandlung vor dem Amtsgericht drei Verhandlungstage angesetzt.

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