Entführung hat Tradition

Nicolas Šustr über die unrühmliche Gewohnheit

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 2 Min.

Berlin war über Jahrzehnte die Hauptstadt der politischen Entführungen. Im Kalten Krieg, als sich die politischen Blöcke in der Vier-Sektoren-Stadt direkt gegenüber standen, war vor allem in West-Berlin das Risiko hoch, in den Machtbereich der Sowjets verschleppt zu werden. Die Opfer waren zum Teil frühere Nazis. Oft aber ging es um Gegner der DDR. Oppositionelle konnten sich auch im freien Westen nicht besonders sicher vor der Stasi fühlen.

Über 400 Entführungen zählte die »Zeit« für den Zeitraum zwischen Kriegsende und Mitte der 1960er Jahre. Für die meisten ging es glimpflich aus, sie kamen nach wenigen Tagen oder Monaten frei. 53 der Entführten erhielten damals jeweils bis zu zehn Jahre Haft - oft westliche Spione, aber auch hochrangige DDR-Flüchtlinge. Manche mussten mit dem Leben bezahlen. Wie Robert Bialek. Der Altkommunist, unter den Nazis im Zuchthaus, in der DDR Generalinspekteur der Volkspolizei, war nach dem Aufstand am 17. Juni 1953 geflüchtet und hatte sich im Westen der SPD angeschlossen. Im Februar 1956 wurde in die DDR entführt, starb er unter ungeklärten Umständen.

Aber auch die USA holten sich ihre Abtrünnigen zurück. Am 22. April 1991 wurde ein U-Bahn-Fahrer aus Friedrichshain entführt und in die USA ausgeflogen. Es war der ehemalige amerikanische Soldat Jeffrey Carney, der der Stasi jahrelang aus der US-Abhörzentrale auf dem Teufelsberg berichtet hatte. Die Bundesregierung protestierte übrigens zaghaft im Jahre 1998.

Insofern ist Vietnam in eine Berliner unrühmliche Tradition eingetreten. Zur eigenen Schande und zum Schaden seiner hier lebenden Landsleute.

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