Dach alleine reicht nicht
Gewaltvolle Übergriffe zeigen, dass Obdachlose psychologische Hilfe benötigen
»Ich will einfach der Gesellschaft etwas zurückgeben und Menschen helfen, denen es nicht so gut geht«, sagt Philipp Kraft. Der 21-jährige Jurastudent möchte Obdachlosen ehrenamtlich helfen und hatte gerade ein Bewerbungsgespräch mit Ursula Czaika, Leiterin der Bahnhofsmission am Ostbahnhof. Nach den gewaltvollen Übergriffen von Obdachlosen am vergangenen Wochenende an der Bahnhofsmission Zoo geht die Arbeit hier ihren gewohnten Gang. Dass sich ehrenamtliche Helfer bei der Bahnhofsmission bewerben müssen, mag komisch klingen, doch Czaika erklärt: »Wir wollen hier langfristig mit den Menschen arbeiten und unsere Mitarbeiter müssen selbst psychisch stabil sein, um gute Arbeit leisten zu können.« Daher führe sie persönliche Bewerbungsgespräche und vereinbare Probedienste.
Während am Zoo die niedrigschwellige Hilfe im Vordergrund steht, wie die Essensausgabe, versucht Czaika mit ihren Kollegen eine langfristige Vertrauensbeziehung zu Obdachlosen aufzubauen. »Wir haben hier immer wieder mit Gewalt zu tun, aber es gibt keine großen Eskalationen, weil sich bei uns nicht solche Mengen von Menschen vor der Türe sammeln«, sagt Ursula Czaika. Tobias Renner, der obdachlos ist und eigentlich anders heißt, suchte in der Vergangenheit öfters die Bahnhofsmission am Zoo auf. »Jetzt werde ich öfters hier herkommen, auch wenn ich am Samstag nicht am Zoo war. Mir reichen die Geschichten, die mir Freunde erzählt haben«, sagt Renner.
Doch auch in der Bahnhofsmission Zoo geht die Arbeit weiter. »Die ehrenamtlichen Mitarbeiter wollten ungebremst helfen«, sagt Dieter Puhl, Leiter der Bahnhofsmission Zoo. Ab nächsten Montag soll die Arbeit wieder regulär weitergehen, bis dahin wird das Essen noch durch die Fenster ausgegeben. Er macht die mangelnde psychische Betreuung von Obdachlosen für die Gewaltübergriffe verantwortlich. Wenn Bürgerinnen in Deutschland psychische Probleme hätten, könnten sie von zu Hause aus den sozialpsychiatrischen Dienst kontaktieren und der käme dann mit Fachpersonal. Obdachlose hätten diese Möglichkeit jedoch nicht. Puhl und seine Mitarbeiter könnten den sozialpsychiatrischen Dienst erst dann kontaktieren, wenn sie ein Gewaltpotenzial bei den Menschen beobachteten. »Oftmals ist es schwer, das zu sehen und richtig einzuschätzen«, so Puhl. Er würde sich wünschen, dass die sozialpsychiatrischen Dienste in die Verantwortung genommen würden, sich stärker an dieser Arbeit zu beteiligen.
Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (LINKE) kann diesen Wunsch verstehen. »Obdachlose Frauen sind mit unendlicher Gewalt konfrontiert, an jeder Ecke dieser Stadt«, sagt Breitenbach dem »nd«. Sie werde sich dafür einsetzen, dass mehr Schutzräume für obdachlose Frauen entstehen. Verbindliche Zusagen könne sie aber noch nicht machen, da der Haushalt des Landes Berlin für 2018/2019 noch in der Beratungsphase ist. Beschlossen wird der Haushalt erst Ende Dezember, dann könnten neue Projekte anlaufen. Aktuell arbeite der Senat an der Planung eines Begegnungs- und Beratungszentrum für sozial und gesundheitspolitische Belange im Bahnhof Zoo. In dem Beratungszentrum soll es einen sozialen und einen gesundheitlichen Bereich, mit Schwerpunkt sozialpsychologischer Beratung geben.
Des Weiteren sagte Breitenbach zu, die Kältehilfe auf 1000 Plätze aufzustocken. Man wisse, dass es in Berlin zu wenig Plätze für Obdachlose im Winter gebe, daher habe man auch im vergangenen Winter zusätzliche Schlafplätze im Hangar des ehemaligen Flughafens Tempelhof bereitgestellt. »Wir werden die Menschen nicht auf der Straße erfrieren lassen«, betont Breitenbach. Derzeit sei sie mit den Bezirken in Beratung, wo weitere Plätze für die Kältehilfe entstehen könnten.
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