Neue Technik für mehr Regionalität
Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) besucht regionale Lebensmittelproduzenten
»Regional ist angesagt«, erklärt Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD), »und das ist auch gut so.« Am Mittwoch besuchte er Unternehmen in Brandenburg, die die Regionalität ihrer Produkte als Grundstein ihrer Vermarktungsstrategie betrachten. Das kommt gut an, denn nicht nur Berliner Hipster fragen nach Produkten von regionalen Bauern. »Auch in den Brandenburger Supermärkten dürfen regionale Produkte nicht mehr fehlen«, heißt es in einer Mitteilung des Ministeriums.
»Dieser Trend birgt großes Potenzial für unsere Lebensmittelproduzenten«, sagt Gerber. Dabei entstehen jedoch auch Probleme für die kleinen Unternehmen. Die Konsumenten möchten wissen, wo ihre Lebensmittel herkommen. Sind sie bio? Welche Zusatzstoffe kommen woher? Das alles sind Fragen, die einem Bauern im Hofladen nicht begegnen, jedoch im großen Supermarkt häufiger beantwortet werden müssen.
So geht es auch Frank Lienig von der Lienig Wildfruchtverarbeitung GmbH aus Zossen (Teltow-Fläming). Das mittelständische Familienunternehmen spezialisierte sich auf die Verarbeitung der Knollenfrucht Topinambur - auch Erdartischocke oder Erdbirne genannt - und stellt damit eine breite Produktpalette von Pulver bis zu Fruchtsäfte her. Das fertige Produkt liefert er dann zum Beispiel an Abfüllbetriebe oder auch an die Tierfutterindustrie. Lienigs Geschäft läuft gut. »Die Anfragen kommen eigentlich von selbst«, sagt der Chef von zehn Angestellten.
Im Rahmen des Verbundprojekts RegioFood_Plus ist es nun auch möglich, alle seine Anfragen zu befriedigen. So wurde in Zusammenarbeit mit IT-Profis, wissenschaftlichen Einrichtungen und Handelsunternehmen ein Instrument zum Informationsmanagement für kleine Unternehmen entwickelt. In einem Cloud-System - das bedeutet, die Daten werden im Internet gespeichert und sind für alle Beteiligten einsehbar - sollen die verschieden Artikel der teilnehmenden Unternehmen mit allen nötigen Informationen eingetragen werden. Teilweise benötigt ein Großhandelsunternehmen bis zu 570 verschiedene Daten, zum Beispiel Nährwerte, zu einem Artikel.
Im Einzelnen funktioniert das so: Der Produzent registriert seinen Artikel im sogenannten ERP-System und kann dann mit einem Gerät einen Aufkleber drucken. Dieser wird auf die Ware geklebt. Nun kann sie gegebenenfalls in einem anderen Betrieb weiter verarbeitet, oder über ein Logistikzentrum in die regionalen Supermärkte ausgeliefert werden. Der angebrachte Strichcode ermöglicht, wie gewünscht, eine lückenlose Rückverfolgung des Produkts und bestätigt die Regionalität.
Ohne das vom Bund geförderte Projekt wäre es den kleinen Unternehmen nicht möglich, solche Systeme flächendeckend einzuführen. »Kleine regionale Unternehmen können sich das nicht leisten«, erklärt Eckart Kramer, Professor für Prozessmanagement an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde (Barnim). Die sonst unbezahlbaren Instrumente können die kleinen Landwirtschaftsbetriebe, die manchmal nur eine Ernte pro Saison haben, nun für 300 bis 500 Euro pro Monat mieten. So wird der Markt auch für die kleinsten Unternehmen der Region geöffnet.
Doch nicht jeder Anbieter möchte landesweit liefern. Die familienbetriebene Kanow-Mühle Sagritz in Golßen (Dahme-Spreewald) beliefert bisher nur einige Supermärkte im Umkreis direkt. Sie ist seit sieben Generationen in Familienhand und produziert eine Spreewälder Spezialität. Die alte Presse aus dem Jahr 1912 wurde nach heutigen Standards erneuert und ist nun nicht mehr für Mehl zuständig, sondern für eins der feinsten Leinöle der Region.
Der Chef des kleinen Betriebs, Christian Behrendt, bemerkt ein Umdenken bei den Ketten gegenüber regionalen Produkten: »Die Supermärkte öffnen sich immer mehr.« Doch er hat ein anderes Problem mit seinem beliebten Leinöl. Es ist nicht haltbar genug für den landesweiten Verkauf über ein Logistikzentrum.
Der wohl bekannteste Partner im Projekt ist EDEKA Hannover-Minden. Das Konzept, regionale Produkte in das Sortiment aufzunehmen, ist schon länger in die Unternehmensphilosophie eingebunden. Nun übernimmt die Genossenschaft allerdings eine Schlüsselrolle in der Durchführung des Projekts. Das Logistikzen᠆trum in Freienbrink (Oder-Spree) dient den regionalen Produzenten als Umschlagplatz. Von hier aus können sie ihre Ware in alle Märkte des Unternehmens liefern lassen.
Dabei ist das entwickelte ERP-System von besonders großer Bedeutung. Die einzelnen Märkte können hier neben ihrem normalen Sortiment auch die Produkte aus der Region bestellen. Über die Artikelnummer wird dem Produzenten direkt angezeigt, dass seine Ware angefordert worden ist. Es beginnt der zuvor beschriebene Prozess: Der Aufkleber mit Strichcode wird auf das Produkt geklebt und in das Logistikzentrum geliefert. Dort erkennen Geräte, wohin die Bestellung muss, und lagern die Kisten mit Ware morgens erst einmal ein. Von dort aus werden am Nachmittag durch Maschinen und Kommissionierer die verschieden Bestellungen zusammengestellt und dann ausgeliefert. Alles möglich, da der Strichcode die Artikel immer identifiziert. Oder um es mit den Worten von Wirtschaftsminister Gerber zu sagen: »So ist es im Kapitalismus. Angebot und Nachfrage.«
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