Frauenvernichtungsmaschinen

»Femme Fatales« - Tanztheater aus Kanada über die Körperspuren der Hexenverfolgung

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Sommerstimmung in den Uferstudios. Der Lavendel blüht vor dem Büro des Ada-Studios. Das kleine Wäldchen in der Mitte des einstigen Straßenbahnreparaturhofes in Wedding wächst und gedeiht - und bietet zugleich einen malerischen Sichtschutz. Der Hort des zeitgenössischen Tanzes in Berlin ist im Laufe der Jahre zu einer Idylle geworden - in spielerischem Kontrast zu den oft knochentrockenen Konzepten, die hier erdacht und dann in gern minimale Bewegung umgesetzt werden.

Ada-Chefin Gabi Beier steuert gegenwärtig aber ein ungewohnt narratives Tanzstück bei. »Femme Fatales« ist eine Arbeit der kanadischen Choreografin Meredith Kalaman, in der es nicht nur konzeptionell um das Thema von Hexenverfolgung und Ausgrenzung geht. Nein, Kalaman hat sich gleich einen ganzen Hexenkessel bauen lassen, der nun als Bühnenobjekt bespielt wird. Der Kessel, selbst zum Skelett reduziert, fasst locker die drei Performerinnen.

Dank der Rollen an der Unterseite ist er auch beweglich. Und er hat sogar eine eigene Energiezufuhr. Weil die Akkus nicht lange reichen, gilt die Sorge der Performerinnen stets dem Ladezustand der Batterien, erzählt Beier und schmunzelt. Denn dieses Kümmern um das Bühnenobjekt trägt paradoxe Züge in sich. Der Kessel ist schließlich das Sinnbild einer Frauenvernichtungsmaschine - und Frauen sorgen sich, dass er bei Kräften ist.

Dass Beier auch selbst im Kümmermodus für den Kessel ist, ist Folge einer doppelten Luxussituation. Die Chefin des Berliner Karrieresprungbretts im zeitgenössischen Tanz wurde im vergangenen Jahr von der Choreografin Kalaman nach Kanada als Tanzdramaturgin eingeladen. Das ist ungewöhnlich, denn Tanzdramaturgen fallen in Nordamerika oft aus dem Kostenplan. »Eine Probenraumstunde kostet in Vancouver 44 Dollar. Die Künstler sparen regelrecht darauf hin. Und die Arbeiten werden vor allem während der Residenzzeiträume von zwei Wochen vorangetrieben«, berichtet Beier. Sie selbst kam nach Kanada, weil die Nachwuchsversion des Chrystal Dance Prize, den Kalaman im kanadischen Victoria erhalten hatte, ausdrücklich die Zusammenarbeit mit einer europäischen Künstlerin vorsieht - und das auch finanziert.

Für Beier, gelernte Tanzdramaturgin, war die kanadische Episode zugleich eine Rückkehr zu ihren Wurzeln. Denn seitdem sie das Ada-Studio leitet, hat sie eigentlich gar keine Zeit mehr für ausdauernde Tanzdramaturgien. »Jetzt täglich acht Stunden am Stück im Studio zu sitzen und zuzugucken, mit Zeit an den Dingen zu arbeiten und auch neue Ideen zu entwickeln, das war beruflich gesehen absoluter Luxus«, beschreibt sie die Arbeit in British Columbia.

Die Zusammenarbeit der beiden führte zu »Femme Fatales«. Die Produktion errang in diesem Jahr sogar den Hauptpreis des Chrystal Dance Prize; der finanziert wiederum den aktuellen Auftritt in Europa.

In Kanada wurde Beier die Sogwirkung Berlins auch als Stadt des zeitgenössischen Tanzes deutlicher bewusst. Zugleich bestärkte sie der Aufenthalt dort aber auch in ihrer Haltung, über die ästhetischen Ansätze der engeren Uferstudio-Tanzszene weiterhin hinauszublicken. Ihre Newcomer-Formate »Nah Dran« und »SOS - Students On Stage« gibt sie - auch dank der erhöhten Förderung - in die Hände von ko-kuratierenden Künstlerinnen wie der israelischen Choreografin Lee Meir oder der als Choreografin wie als Festivalmacherin arbeitenden Cilgia Gadola.

»Es ist so simpel wie wahr: Mehr Förderung eröffnet mehr Möglichkeiten. Durch die externen Kuratorinnen bin ich auf ganz neue junge Leute gestoßen, auf die ich sonst wohl nicht aufmerksam geworden wäre«, erzählt Beier. Für die nahe Zukunft plant sie verstärkte Alumni-Betreuung - organisatorische und praktische Hilfe für die Absolventen des Hochschulübergreifenden Zentrums Tanz wie auch der anderen Tanzschulen der Stadt. Auch eine Plattform, auf der Arbeitsergebnisse und Methoden aller sechs in Berlin ansässigen Schulen präsentiert und diskutiert werden sollen, gehört zu den zukünftigen Projekten.

Jetzt, parallel zum großen Festival »Tanz im August«, geht es aber darum, dem in Kanada selbst miterarbeiteten Stück »Femme Fatales« einen Platz in der Berliner Tanzwelt zu verschaffen. Für den Hexenkessel, der für das Gastspiel gerade als Duplikat hergestellt wird, hat Beier bereits praktische Verwendung: Nach den Aufführungen soll er im Gartenidyll der Uferstudios als Blumenkübel dienen. Eine echte Transformation einer alten Frauenvernichtungsmaschine.

Vom 12. bis 15. August im Uferstudio 1, Uferstraße 8, Wedding

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