Baums Berichte
Westreporter in der DDR
Auf den ersten Blick verspricht das Buch alle Klischees, die der heutige unbedarfte Leser von der DDR hat: Stasi, Kontrollwahn, Manipulation, Versorgungsengpässe, Westgeldgier. Bei einem von der Stiftung Aufarbeitung SED-Diktatur gesponserten Buch wäre das keine Überraschung. Detailliert sind Arbeitsanregungen für den Schulgebrauch mitgegeben. Die Publikation soll aber zugleich auch den Anspruch von »freiem Journalismus« belegen.
Karl-Heinz Baum, studierter Historiker, wurde 36-jährig DDR-Korrespondent der »Frankfurter Rundschau« und blieb dies bis zum Ende des ostdeutschen Staates. Er ging in den Osten mit der damals nicht selbstverständlichen Überzeugung, dass die deutsche Einheit kommen werde. Haarklein berichtet er, wie er seine Kontrolleure im DDR-Außenministerium und vor allem die permanente Überwachung durch das MfS austrickste. Wenn deren Mitarbeiter pünktlich Feierabend machten, stahl er sich aus einem Hinterausgang und begab sich auf Schleichwege, um mit seinen bis zu 500 Kontaktleuten in der DDR zu sprechen. Seine »Quellen« kamen aus Kirchenkreisen und dem Kulturbereich. Seine Reportagen, von denen hier 58 präsentiert werden, berichten über Arbeit, Schule und Jugend, Kirche und Opposition, Verfolgung und Mauerfall. Baum offenbart ein erstaunlich frisches, zumeist von ideologischen Scheuklappen freies Bild auf die DDR der späten 1970er und 1980er Jahre. Es gibt liebevolle Skizzen zum Alltag, beispielsweise zum Hengst- und Heiratsmarkt in Havelberg, dem größten Trödelmarkt der DDR, wo Pferde ebenso wie überteuerte, aber rare Sensenbäume die Besitzer wechselten, bis hin zu den Intershops und den regen Tauschhandel der DDR-Bürger. Der aufmerksame Chronist verzeichnet auch neonazistische Umtriebe, die im Staat, in dem der Antifaschismus Staatsdoktrin war, zwar rigoros geahndet wurden, gleichzeitig die Frage aufwerfen, warum und inwieweit die Propaganda nicht fruchtete. Und nicht zuletzt kommen Oppositionelle zu Wort, die Kritik an den stagnierenden Verhältnissen artikulierten, eine bessere DDR wollten und zugleich Vorboten ihres Untergangs waren.
Die DDR-Führungsriege hätte Baums Reprotagen akribischer lesen sollen. Aber auch im Westen hätten die differenzierten, die Mentalität der DDR-Bürger recht gut einfangenden Artikel aufmerksamere Leser finden sollen, dann wäre manche Überraschung nach der deutschen Vereinigung den vermeintlichen Siegern der Geschichte erspart geblieben.
Baum urteilt: »Die DDR sah unsere Arbeit als ›Einmischung in innere Angelegenheiten‹. Ja, wir haben uns eingemischt, wenn auch zu wenig. Ich war Journalist, weil ich mich ins öffentliche Leben einmischen wollte. Wer das verhindern will, darf Journalisten nicht zulassen, darf sie gar nicht erst ins Land lassen.« Was ja nicht selten geschah und heute noch vielerorts geschieht. Wenn ein wie auch immer definiertes System auf Öffentlichkeit und freie Diskussion verzichtet, wird jedes Ventil zu einer Gefahr.
Karl-Heinz Baum: Kein Indianerspiel. DDR-Reportagen eines Westjournalisten. Mit Arbeitsanregungen von Renate Schliephacke. Ch. Links Verlag. 240 S., br., 15 €.
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