Gemüse im Kopf
Ellen Wesemüller über den mühsamen Spaß am Ernten
Ende Oktober war letzter Erntetag auf dem Acker einer Freundin in Rudow. Es war natürlich nicht ihr Acker, und eher ein Äckerchen, ein neun mal ein Meter langer Streifen, den sie, wie immer mehr Großstädter auf der Suche nach ruralen Abenteuern, mietete. Alles war schön an diesem Tag: abzuernten, ohne nur einen einzigen Samen in die Erde gesetzt zu haben. Fürs Familienalbum zu posieren: bei untergehender Herbstsonne im Acker kniend, mit Bündeln Grün in der Hand - für die Erkennung der Pflanzen, die ihre Köpfe naturgemäß in den Sand zu stecken pflegen, war die Freundin zuständig.
Das soll mein Kind ruhig lernen, dachte ich, dass das Gemüse nicht so aussieht wie im Supermarkt. Ich bezahlte für die nächste Saison, dann kam praktischerweise der Winter, wo man gar nichts tun musste, außer, sich auf den Frühling zu freuen.
Der dann aber kam. Zwar übernahm der Anbieter Aussaat, wässern und Unkraut zupfen musste man jedoch selbst. Zwei bis drei Stunden die Woche, hieß es. Kein Problem, hatte ich gedacht. Ich hatte inzwischen in einem Anflug ökologischen Wahns allerdings mein Auto abgegeben und musste feststellen, dass man abends nach Rudow mit Kind nur unter sehr widrigen Umständen kommt, und zwei bis drei Fahrräder in der U7 im Feierabendverkehr auch keine Begeisterungsstürme auslösen.
Seit Mai war ich nun ganze zwei Mal auf dem Feld. Davon einmal Mal ohne Freundin. Fenchel ernten half sie mir via WhatsApp. Ich gab »Fenchel« bei Google ein, aha, gelbe Butterblumen auf den Stängeln. Dann stellte ich fest, dass das Ernten ohne Handschuh nicht gutgeht und ohne Spaten sogar überhaupt nicht. Die Kartoffelpflanzen sind hinüber, sagte eine Frau lakonisch im Vorbeigehen - da hätte man engagierter Kartoffelkäfer pflücken müssen.
Jedes dieser zwei Male habe ich mir auf dem Hinweg geschworen, nie wieder dort mitzumachen. Jedes Mal, wenn ich auf dem Rückweg sonnendurchflutet die U7 betrete, schwöre ich mir, demnächst Bäuerin zu werden.
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