Ende Gelände: Das Baggerrad der Geschichte aufhalten
Eva Bulling-Schröter zeigt auf, dass hinter dem verregneten Sommer eine Klimakrise steckt, gegen die gehandelt werden muss
Alle reden übers Wetter. Schon immer, Alt und Jung. Den einen ist es zu kalt. Den anderen zu heiß. Auf den Mobiltelefonen haben Hunderttausende smarte Wetterapps am Laufen, keiner will sich beim Grillen im Garten von Blitz und Regen überraschen lassen. Letzte Woche hat die US-Wetterbehörde NOAA trotz Eigenzensur aus Angst vor der Klimawandel-Leugner-Regierung von Trump ihren jährlichen »State of the Climate 2016«-Bericht vorgelegt. Fazit für alle Statistikfans: 2016 war das wärmste Jahr seit den ersten Wetteraufzeichnungen 1880. Nachdem schon 2014 und 2015 Hitzerekordjahre waren. Und auch 2017 ist auf dem besten Weg einen neuen Temperaturanstieg hinzulegen.
Kaum jemand aber redet über Klimawandel, wenn der Sommerurlaub ins Wasser fällt. Dabei ist es doch so, dass die Rekord-Aufwärmung der Erdatmosphäre mit Wetter, also normalen, natürlichen Schwankungen, nicht mehr viel zu tun hat. Das haben jetzt erneut wieder führende Klima-Forscher eindrucksvoll vorgerechnet. »Rekord-Temperatur-Serie trägt anthropogenen Fingerabdruck«, so eine neue Studie, über die das Online-Klimaportal »Klimaretter« berichtet. Die Wahrscheinlichkeit, dass das heiße Wetter der letzten drei Jahre nur Wetter ist, also ohne menschlichen Einfluss zustande gekommen ist, beziffern die Wissenschaftler auf 0,03 Prozent. Das heiße Jahr 2016 hätte ohne das Verbrennen von Kohle, Gas und Öl die Wahrscheinlichkeit von eins zu einer Million. »Das entspricht der statistischen Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch jemals in seinem Leben von einem Blitz getroffen wird.«, bringt »Klimaretter« die harte Realität auf den Punkt.
Hier stehen wir heute: Der Mensch verändert das Wetter, weil er das Klima verändert. Noch nie in der Menschheitsgeschichte war die CO2-Konzentration in der Luft so groß, noch nie nahm sie so schnell zu wie in 2016. Noch nie waren die Oberflächentemperaturen der Ozeane so hoch. Nie der Meeresspiegel so hoch. Tropische Stürme haben Rekordkonjunktur. Noch nie gab es so viele Dürren, vor allem in Südamerika. Millionen wird die Lebensgrundlage zerstört. Aber warum hören und lesen wir so wenig über diese Krise? Es geht doch alle an, auch wenn uns hierzulande, im reichen Deutschland, die Klimawandelfolgen nicht so stark treffen. Höchstens einen Strich durch die Ferien machen, es Starkregen gibt, und sich die jährlichen Überschwemmungen zeitlich nach hinten verschieben.
Wir brauchen endlich Taten. Die Politik aber macht weiter auf Business as usual. Deutschland schafft seine Klimaziele nicht, bis 2020 40 Prozent weniger Klimagase in die Luft zu schütten als 1990. Die Automobilhersteller betrügen und vergiften unsere Lungen nicht nur mit Abgas-Schummelei, sie wehren sich auch mit Klauen und Zähnen gegen strengere CO2-Obergrenzen. Der Bahnverkehr ist immer noch viel zu teuer, weil die Flugbranche erfolgreich ihrer Privilegien verteidigt – und nun wurde bekannt, dass die Bundesregierung Air Berlin einen Kredit von 150 Millionen Euro geben will.
Es gibt noch immer kein Gesetz zur Abschaltung der dreckigen Kohlekraftwerke. Alles plätschert so dahin. So wie wir geradewegs auf vier neue Jahre Merkel-Regierung hinsteuern, so schlafwandelt eine Mehrheit in die Klimakrise. Im Bundestagswahlkampf ist Klima kein Thema. Wer übers Wetter redet, der darf doch über den Klimawandel nicht schweigen. Mund aufmachen, laut sein. Und ab ins Rheinland, zum Aktionsbündnis Ende Gelände, wo ab diesen Freitag tausende Klimaretter Worte in Taten verwandeln, Klimacamps aufbauen, Gleise blockieren, das größte Braunkohlerevier in Europa stilllegen. Später werden unsere Kinder fragen, warum wir nichts getan haben. Darum geht es heute, dem Kohlebaggerrad der Geschichte in die Speichen greifen.
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