Der wandernde Roland zu Questenberg

Sachsen-Anhalt: Wieso ein kleines Dorf im Südharz einst das Privileg der niederen Gerichtsbarkeit erhielt

  • Wolfgang F. Salzburg
  • Lesedauer: 3 Min.

Wohl der Stadt, die einen Roland hat. So könnte man sagen, wenn man die stets überlebensgroßen Standbilder sieht, die meist an Rathäusern oder auf Märkten ihren Platz gefunden haben. Das Gesetz in Sandstein gemeißelt, trutzig und streng, immer geradeaus ins Leere starrend. Das Schwert des Richtens fest im Griff, jederzeit bereit, das gefällte Urteil zu vollstrecken.

Was dem Betrachter heute einfach als Kunst am Bau erscheinen mag, hatte im Mittelalter weitreichende Bedeutung. Da wurde die Rolandfigur als Zeichen bürgerlicher Freiheit und Sinnbild der Eigenständigkeit einer Stadt mit Marktrecht und eigener Gerichtsbarkeit verstanden.

So ist es wohl auch in Questenberg im Südharz. Nur dass Questenberg in Sachsen-Anhalt keine Stadt war und es - mit heute genau 319 Einwohnern - niemals in diesen Status schaffen wird. Dennoch zählt dieser Ort mit seiner Geschichte - er hatte einst eine Burg, die niemals eingenommen wurde - zu den Kleinoden dieser Gegend.

Der Questenberger Roland steht mitten im Ort unter einer Linde und ist aus Holz. Seine erste Erwähnung wird auf 1740 datiert. Doch RolandForscher wie Dieter Pötschke und Klaus-Peter Behrens meinen, dass das Erwähnungs- und Aufstellungsdatum nicht immer mit dem der Verleihung von Rechten identisch sein muss.

Oft wurde auch die Echtheit des Questenberger Rolands angezweifelt. Es sei wohl eher eine Kopie des Nordhäuser oder des Neustädter Rolands. Alles Humbug sagen die Questenberger und verweisen auf einen Eintrag im Stadtbuch der Werrastadt Heringen. Darin wird berichtet, dass im Jahr 1437 Graf Botho VII. von Stolberg mit einer Anzahl von Harzgrafen das Heer des Bischofs Burchard III. am »Todtenweg« im Südharz in einem Hinterhalt festsetzte und vernichtend schlug. Dabei sollen sich die Questenberger besonders hervorgetan haben. Zum Dank dafür soll Graf Botho ihnen das Privileg der niederen Gerichtsbarkeit, das sogenannte Sühne- und Rügegericht, zugestanden haben. Das Halseisen an der Mauer des Kirchhofes könnte ein Hinweis darauf sein.

Wie dem auch sei, der Roland in Questenberg zeigt dieses Privileg an, egal wann er aufgestellt wurde. Schauen seine Amtsbrüder recht streng in die Welt, so macht er eher einen freundlichen Eindruck. Sein Schwert ist zwar blank, aber er führt dieses wie einen Taktstock, als würde er, gleich einem Tambourmajor, einer Militärkapelle vorangehen.

Die Geschichte des Questenberger Rolands ist auch die Geschichte einer Wanderschaft. Stand er noch vor 1887 am Spritzenhaus, zog er im selben Jahr unter die Linde um. Weil angeblich die Pferde bei seinem Anblick scheuten, verbannte man ihn 1922 an die Kirchensüdwand. Erst im Jahr 1938 nahm er wieder den schattigen Platz unter der Linde ein.

Die Zeit ist an der 3,24 Meter hohen Statue nicht spurlos vorübergegangen. Zweimal wurde sie restauriert. So wurden 1976 verrottete Teile ergänzt und 1987 eine farbige Neufassung vorgenommen.

Die umfassendste Restaurierung musste der Star von Questenberg von 2015 bis 2016 über sich ergehen lassen. Er war in den Jahren zuvor in einen Zustand gekommen, der um seine Zukunft bangen ließ. Die Questenberger ließen sich nicht lumpen und sammelten so viel Geld, dass damit fast die ganze Sanierung bezahlt werden konnte. Die Ausgestaltung des Standortes unter der Linde, ein größeres Dach und ein Winterschutz sollten dann noch einmal so viel kosten.

Da halfen Gemeinde und Landkreis aus, zur Freude aller Beteiligten. Nun strahlt der Roland wieder in neuem Glanz. Und manche Nacht, wenn es ganz still ist, glaubt man, von fern ganz leise das Schlachtgetümmel vom »Todtenweg« zu hören.

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