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Getötete Journalisten: Die Presse stirbt im Gaza-Krieg

Zwei Organisationen zählen über 200 von Israel getötete Journalisten – andere etwas weniger

70 Prozent der seit 2023 weltweit getöteten Pressevertreter*innen entfielen laut CPJ auf den Gaza-Krieg.
70 Prozent der seit 2023 weltweit getöteten Pressevertreter*innen entfielen laut CPJ auf den Gaza-Krieg.

Am Mittwoch hat das israelische Militär Fatima Hassouna, eine palästinensische Künstlerin und Fotojournalistin, mit neun Mitgliedern ihrer Familie bei einem Luftangriff auf ihr Haus in Gaza-Stadt getötet. Hassouna hatte internationale Anerkennung für ihre fotojournalistische Arbeit erlangt, in der sie die Auswirkungen des Gaza-Krieges auf die Zivilbevölkerung dokumentierte. Sie ist auch Protagonistin des Dokumentarfilms »Put Your Soul On Your Hand And Walk« der französisch-iranischen Regisseurin Sepideh Farsi. Ihr Tod erfolgte nur 24 Stunden nach der Bekanntgabe, dass der Film für eine Sektion des Filmfestivals von Cannes ausgewählt wurde.

Hassounas Tod erhöht eine erschreckende Statistik, die laut einer kürzlich von der Brown-Universität in den USA vorgelegten Studie seit Oktober 2023 insgesamt 232 Menschen auflistet. In Gaza wurden demnach mehr Journalist*innen getötet als im amerikanischen Bürgerkrieg, dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, dem Korea- und Vietnam-Krieg, den Kriegen in Jugoslawien in den 1990er und 2000er Jahren und in Afghanistan nach dem 11. September zusammen.

Ähnlich hoch ist die Statistik des staatlichen Medienbüros in Gaza, wonach mindestens 208 Journalist*innen seit Beginn des Gaza-Krieges getötet und 398 verletzt worden seien – diese Angabe stammt aus der Zeit vor dem Tod von Fatima Hassouna. Vermutlich zählt das Büro auch Journalist*innen, die für die Hamas berichten oder sich wie der im Juni 2024 von Israel getötete Abdallah Al-Jamal sogar selbst an der Unterbringung von israelischen Geiseln beteiligen.

Auch Reporter ohne Grenzen (RSF) dokumentiert seit Beginn des Krieges nach dem 7. Oktober 2023 Angriffe auf Medienschaffende und kommt mit fast 200 dokumentierten Todesfällen zu etwas niedrigeren Zahlen. RSF schreibt auch, dass (Stand: Ende März) nur 43 der von ihnen dokumentierten Journalist*innen im Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet wurden. Der Fall von Fatima Hassouna zählt demnach – genauso wie zwei beim Supernova-Musikfestival und zwei in ihren Häusern am 7. Oktober 2023 von palästinensischen Kämpfern getöteten Journalisten aus Israel – nicht dazu.

Auf etwas weniger insgesamt Getötete kommt das Committee to Protect Journalists (CPJ), das mit Stand vom 1. April 168 Palästinenser*innen, außerdem zwei Israelis und sechs Libanes*innen zählt. Unter den insgesamt 175 Toten sind auch 17 Medienmitarbeitende – zu letzteren zählt das CPJ Personal für Übersetzungen, Fahrdienste, Terminverabredungen, Teamsicherheit oder Verwaltung. Das CPJ spricht vom Gaza-Krieg als »tödlichstem Zeitraum«, seit die Organisation im Jahr 1992 mit ihrer Datenerhebung begann und seitdem insgesamt 1676 getötete Journalist*innen und Medienarbeitende weltweit zählte.

»Unsere Rechercheteams untersuchen und verifizieren unabhängig die Umstände hinter jedem Todesfall«, sagt eine Sprecherin zu »nd«. Bleibt unklar, ob der Tod arbeitsbedingt war, spricht das CPJ von einem unbestätigten Motiv und weist diese Fälle gesondert aus. »Angesichts der Schwierigkeiten, diese Informationen während eines andauernden Krieges zu bestätigen, gehen wir jedoch im Fall des Israel-Gaza-Krieges davon aus, dass jeder in einem Kampfgebiet getötete Journalist in irgendeiner Form an einer Berichterstattung beteiligt war«, erklärt das CPJ dem »nd«. Sobald weitere Informationen verfügbar seien, könnte diese Einstufung geändert werden. Derselbe Ansatz werde im Russland-Ukraine-Krieg verfolgt.

91 Journalist*innen wurden vom CPJ zudem als verletzt gemeldet, zwei gelten als vermisst, 83 weitere wurden verhaftet. Darüber hinaus berichtet die Organisation von zahlreichen Übergriffen, Bedrohungen, Cyberangriffen, Zensurmaßnahmen und sogar Tötungen von Familienmitgliedern der palästinensischen Reporter*innen. Zu den vom CPJ dokumentierten Fällen hätten bisher keine der zahlreichen Quellen Hinweise darauf gefunden, dass die Opfer an militanten Aktivitäten beteiligt waren. Diesen Vorwurf erhebt das israelische Militär seit Beginn des Gaza-Krieges häufig. Internationale Medien hatten dies im Projekt »Forbidden Stories« in einer gemeinsamen Recherche aber bald als Lügen widerlegt.

70 Prozent der seit 2023 weltweit getöteten Pressevertreter*innen entfielen laut CPJ auf den Gaza-Krieg. Mit 172 Fällen sei überwiegend das israelische Militär dafür verantwortlich. Mindestens 13 Journalist*innen und zwei Medienmitarbeitende seien (mit Stand 14. April) von den israelischen Angreifer*innen gezielt getötet worden, was das CPJ als Morde einstuft. Auch RSF lägen nach eigenen Angaben »belastbare Informationen vor«, die nahelegen, dass Israels Militär Journalist*innen gezielt ins Visier nehme. In mehreren Fällen gebe das Militär dies auch offen zu.

Keine der Quellen fand Hinweise darauf, dass von Israel getötete Journalist*innen zuvor an militanten Aktivitäten beteiligt waren.

Zu den Medienorganisationen, die getötete Pressevertreter*innen dokumentieren, gehört die International Federation of Journalists (IFJ). Für den Gaza-Krieg arbeitet sie dazu mit der palästinensischen Journalistengewerkschaft (Palestinian Journalists Syndicate) zusammen. Die Organisationen zählen mindestens 156 Todesfälle für den Gaza-Krieg und geben im Vergleich zum CPJ etwas höhere Werte für im Konflikt getötete Libanes*innen (9) und die vier am 7. Oktober 2023 getöteten Israelis (4) an. Zu ihren jüngsten Einträgen gehört der Journalist Ahmed Mansour, der für »Palestine Today« arbeitete und am 8. April seinen Verletzungen und schweren Verbrennungen erlegen ist – einen Tag nachdem ein israelischer Luftangriff ein Journalistenzelt in Khan Yunis getroffen hatte und auch Kollegen von Mansour tötete.

Seit dem 7. Oktober fordert die IFJ die Freilassung »aller Geiseln«, von Israel außerdem die Öffnung Gazas für internationale Reporter*innen. Die Regierung wird aufgefordert, das Völkerrecht zu achten, das Kombattanten verpflichtet, Medienschaffende zu schützen. Deutlicher wird das CPJ, das von der israelischen Regierung verlangt, die wahllose und gezielte Tötung von Journalist*innen zu beenden. Israel müsse Rechenschaft für die Verbrechen sicherstellen und Straflosigkeit beenden, indem es seine angeblich nach den Tötungen begonnenen – und in vielen Fällen eingestellten – Ermittlungsverfahren transparent macht.

Seit Beginn der Kämpfe halten Israel, aber auch Ägypten den Gazastreifen weitgehend abgeriegelt. Es gibt deshalb keine unabhängige internationale Berichterstattung zu den Vorwürfen gegen Israel. Dagegen gab es weltweit Proteste von Medien und Journalistenverbänden. Im September 2024 veröffentlichten auch mehrere deutsche Printmedien, darunter »Zeit«, »Taz«, »Spiegel« und »Bild« sowie ARD und ZDF einen offenen Brief an die Regierungen Israels und Ägyptens. Darin heißt es: »Wer uns verbietet, im Gazastreifen zu arbeiten, schafft die Voraussetzungen für Menschenrechtsverletzungen.« Organisationen wie die deutsche Sektion von Reporter ohne Grenzen unterstützten den Appell ebenfalls.

Das »nd« hat die beiden deutschen Journalistengewerkschaften gefragt, welche Forderungen sie deshalb an Israel oder auch die Bundesregierung richten. Man habe in der Vergangenheit die israelische Armee und die Hamas aufgefordert, Medienschaffende zu schützen, schreibt dazu der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), der auch den offenen Brief der Medienhäuser mitunterzeichnet hat.

Gar nicht auf Fragen nach Forderungen antwortet die Deutsche Journalist*innen- und Journalisten-Union (DJU). Man habe aber im Dezember 2024 in einer Stellungnahme zum RSF-Jahresbericht »auf Palästina als tödlichste Region für Journalist*innen im Nahen Osten verwiesen«, sagte die neue Bundesgeschäftsführerin Danica Bensmail »nd«. Auch den offenen Brief, in dem deutsche Medien ungehinderten Zugang zum Gazastreifen fordern, unterzeichnete die DJU nicht. An dessen Entstehung und Unterzeichnungsprozess sei die Gewerkschaft »offenkundig« nicht beteiligt gewesen, erklärte die Pressestelle.

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