Abschied aus Prenzlauer Berg
Ein Umzug ist immer auch etwas Traumatisches im Leben eines Berliners. In dem Moment, indem man die Tür der alten Wohnung verschließt, lässt man auch einen Teil seines Lebens in der überteuerten Wohnung zurück.
Keine bis spät in die Nacht angeregt schwatzenden Spanier vom Balkon gegenüber mehr, Abschied von der Studenten-WG nebenan und ihrer Bewohnerin, die bei 91 Dezibel lachen und scheinbar gleichzeitig sprechen kann. Immerhin, das Leben in Prenzlauer Berg ist für sie heiter.
Dann ist da noch der Hausherr (gefühlt). Der am liebsten aus dem Fenster heraus alles und alle beobachtet, der bei unserem Einzug schon verkündete, dass »man es im Haus gerne ruhig hat«, der dann aber selbst jeden Tag bis nach 22 Uhr Actionfilme mit Jean-Claude Van Damme bei voll aufgedrehten Bässen guckt und stolz auf seine 3000 Euro teure Dolby-Anlage ist. Er hat uns mal in sein Wohnzimmer eingeladen, um die Technik zu bestaunen, daher wissen wir das. Eine Woche später hat er uns dann als »verdammte Wichser« beschimpft, die er »so richtig fertig macht. Aber so richtig«, weil wir mit den Dielen über ihm zu laut knarren.
Fehlen werden mir auch die engagierten Menschen, die der Wohnungsgesellschaft Briefe schreiben und uns für eine Petition gewinnen wollen, weil die Leute von der Gartenbaufirma die Hecken immer zu weit runterschneiden.
Aber am schwersten fällt der Abschied von der älteren Frau von zwei Stockwerke drunter, die immer bis drei Uhr nachts wach ist, kette qualmt und jeden Tag zu Hause ist - unser persönliches Paketzentrum. Eine Woche bevor wir endgültig weg waren, zog sie mich in ihre Wohnung. Vorher hatten wir nie viele Worte gewechselt, aber sie war ein Original, das spürte man. »Ich zeig Ihnen mal meine Enkel, bevor Sie gehen«, war ihr Lockruf. Jetzt weiß ich von der Vorliebe ihrer Tochter für spanische Mädchennamen und mit was für schäbigen Tricks eine städtische Wohnungsbaugesellschaft versucht, eine alleinstehende Frau nach Reinickendorf oder Spandau abzuschieben. Einen 100-Euro-Ikea-Gutschein hat man ihr geboten, damit sie aus der Zweiraumwohnung in den Westen zieht und Platz macht. »Wat soll ick da? Ick lebe seit 38 Jahren in der Wohnung. Meine Tochter wohnt nebenan. Ick bin doch nich alleene.«
Jetzt ist also die Tür zu und eine andere in Karlshorst geht auf. Ich bin in Köpenick geboren und mit der S3 Jahrzehnte lang am Bahnhof Karlshorst vorbeigefahren, wenn es in die Stadt ging, ohne von diesem Ort je Notiz zu nehmen. Karlshorst, Terra incognita. Was ich weiß ist, dass Frauen dort leben, die die passenden Gummistiefel zur Regenjacke tragen, dass es mehr Kinder als Erwachsene gibt und wir im Haus unten einen Laden haben, bei dem man Seifen-Selbstmach-Kurse belegen kann. Und dass Karlshorst ein Ort ist, an dem die Post erst um 9.30 Uhr auf und dafür schon um 18 Uhr zu macht. Also eigentlich ist alles wie in Prenzlauer Berg.
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