Ein Abend mit der Familie

Sasha Waltz & Guests mit »Allee der Kosmonauten« beim Kunstfest Weimar

  • Doris Weilandt
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Brett, eine Couch, ein Tischtuch - das sind die Requisiten einer Familiensaga, die Sasha Waltz mit ihren Tänzern fulminant erzählt. Auf Recherche für das Tanztheaterstück war die Choreografin in der titelgebenden Straße zwischen Lichtenberg und Marzahn. Doch das Thema beschränkt sich nicht auf die Bewohner einer Plattenbausiedlung. Es ist universell und überall präsent. Entsprechend richten sich die Scheinwerfer zu Beginn auf das Publikum, das in den Bühnenraum einbezogen wird.

Zu sehen ist eine Familie, die mit immer gleichen Abläufen beschäftigt ist. Das Bild auf dem Sofa wird vom Vater bestimmt. Fast schwerelos umkreist er dieses Möbelstück - nach vorn, nach hinten, zur Seite und wieder nach vorn. Die Mutter nimmt von all dem keine Notiz. Sie ist längst selbst zu Mobiliar geworden und eingeschlafen. Das Kind wartet in angespannter Haltung, kann sich aber nicht aus diesem Bannkreis fortbewegen.

Laute Musik dringt in das neuzeitliche Schäferidyll. Nach dem Grundsatz »My home is my castle« verteidigt der Vater die heilige Ordnung gegen die jüngere Generation, die aufbegehren will. Die Mutter erwacht plötzlich und setzt zu einer wilden Staubsauberattacke an. Die Wohnung wird in den Zustand versetzt, in dem sie vorher war. Über Videobotschaften dringen echte Objekte deutscher Kleinbürger herein: Uhren, Lampen mit Stoffbespannung und Kordeln, runde Tische und Häckeldecken.

In die vermeintliche Ruhe mischt sich Gewalt. Das junge Paar schlägt sich exzessiv. Immer wieder fallen sie übereinander her - bis sie sich lieben. Körperlich führen sie vor Augen, wie nahe die beiden Extreme beieinanderliegen, wenn die Grenzen eingerissen sind. Sie spüren sich nur im Schmerz und wissen, dass sie ihrem Schicksal nicht entrinnen können. Als Arbeiter rackern sie am Fließband, dessen Taktfrequenz ständig erhöht wird. Sie müssen schnell sein, um dabeizubleiben. Das Brett ist eine Maschine und zugleich die berühmte Fessel, von der nicht loszukommen ist. Mit diesem Brett wird gearbeitet, geschlagen und die Perspektive verschoben. In atemberaubender Geschwindigkeit bewegen sich die Tänzer darunter, darüber oder an der Wand laufend.

»Das Stück ist ernorm anstrengend für die Tänzer«, erklärt Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola. Er hat für die Uraufführung 1996 in den Berliner Sophiensälen seine eigene Figur entwickelt, die sich seitdem nicht verändert hat. Das Stück »Allee der Kosmonauten« hatte wegen der extremen Belastung für die Tänzer eine fast 10-jährige Pause. Jetzt ist es wieder auf Tour. Als Vater ist Garaio Esnaola die zentrale Figur in diesem Familienkosmos. Er zeigt ihn als spießbürgerlichen Weichling. Wie das gesamte Ensemble bewegt er sich mit enormer Geschwindigkeit, bei der eine Bewegung perfekt in die nächste übergeht. Dadurch entstehen ausdrucksstarke Bilder, die den großen Bühnenraum füllen. Besonders an diesem Tanztheater sind auch die pantomimisch genau getroffenen Charaktere, die das Publikum zum Lachen bringen. Aus der ursprünglichen Besetzung tanzt auch Takako Suzuki wieder: »Ich habe gemerkt, dass das Stück gewachsen ist. Die Rolle ist jetzt viel natürlicher.« Die »Allee der Kosmonauten« ist durch die rasante Erzählweise und die Zeitlosigkeit bereits ein Klassiker.

Und wieder das Brett: vor dem Kopf oder als Bücherregal, in das Bände eingestellt werden. Jeder sortiert nach einem anderen Prinzip. Die einen nach der Größe und in Reih und Glied, die anderen nach der Schönheit des Arrangements. Am Ende wird das Regal mit den großen Klötzen zur Straße mit Hochhäusern, die in loser Folge beieinanderstehen. Dazu erklingen patchworkartig erfolgreiche DDR-Schlager wie »Als die Sonne kam«. Glück und Liebe - Träume, die scheinbar nicht mit dem Leben einer Familie vereinbar sind.

Ein großartiges Tanztheater. Das Kunstfest-Publikum in Weimar reagierte begeistert.

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