Aufzucht statt Schreddern
Die Vermarktung von Hähnchen ist teuer aber erfolgreich
Annalina Behrens steht inmitten von Hunderten Hühnern. Sie greift sich einen braunen Hahn aus der Herde: »Der hat Glück gehabt«, sagt die Produktionschefin des Erzeugerzusammenschlusses Fürstenhof (Landkreis Rostock). Der Bio-Eierproduzent hat 2012 erstmals Hähne in die Ställe geholt, in denen bis dahin ausschließlich Legehennen gehalten wurden, und nannte das Projekt »Haehnlein«. Was auf dem Bauernhof gang und gäbe ist, nämlich beide Geschlechter zusammen zu halten, ist mit der Eierproduktion in Großanlagen verschwunden. Da haben Hähne keine Chance. Bundesweit werden nach Schätzungen jährlich 50 Millionen männliche Küken der auf Legeleistung gezüchteten Hühnerlinien nach dem Schlüpfen getötet. Geflügelfleischproduzenten bevorzugen andere Rassen.
Anders in der Erzeugergemeinschaft Fürstenhof mit ihren 19 Mitgliedsbetrieben vorwiegend in Mecklenburg-Vorpommern. »Mir war es einen Versuch wert, einige Hähne in unsere Herden zu integrieren. Gestartet sind wir vor fünf Jahren mit 5000 Tieren. Inzwischen sind es schon über 100 000«, berichtet Produktionsmanagerin Behrens.
Die Küken kommen gemeinsam in einen Stall mit Fußbodenheizung und ausreichend Rückzugsbereichen. »Das Gros für die Ernährung und auch das Stroh zum Einstreuen produzieren wir weitestgehend selbst. Alles Bio. Das garantiert uns eine hohe Produktionssicherheit«, sagt der promovierte Landwirt Christian Littmann, im Unternehmensverbund für den Ackerbau verantwortlich. Nach etwa acht Wochen öffnen sich die Stalltüren zum Wintergarten. Wenig später geht es auch ins Freie.
Die ersten Hähne werden mit 12 Wochen geschlachtet. Konventionell gehaltene Masthähnchen werden dagegen lediglich fünf Wochen alt. Für die verbleibenden Hähne in den Herden der Erzeugergemeinschaft ist das Leben mit 18 Wochen zu Ende - wenn ihre Schwestern mit dem Eierlegen beginnen. »Die Sozialstruktur mit den männlichen Artgenossen wirkt sich auf ihre Legeleistung positiv aus. Bis zu 290 Eier pro Henne und Jahr sind drin«, versichert Behrens.
Bei den Hähnen schlägt sich die deutlich längere Aufzuchtzeit nach ihren Worten in einer höheren Fleischqualität nieder. Das Fleisch sei zart, aromatisch und von dunklerer Farbe. Mecklenburg-Vorpommerns Agrar-Staatssekretär Jürgen Buchwald bestätigt das: »Ich habe das Fleisch probiert. Es ist kräftiger im Geschmack.« Haehnlein-Produkte wie Filets, Keulen und Flügel sowie die Eier sind in zunehmend mehr Verkaufsregalen zu finden. Die Verbraucher greifen zu, obwohl sie deutlich mehr zahlen als für andere Bio-Ware. Damit wird ein Teil der höheren Kosten durch die Aufzucht der Hähne gedeckt.
Ob die gemeinsame Aufzucht von Hähnen und Hennen generell möglich ist, bezweifelt Buchwald unter Hinweis auf den hohen Aufwand und die hohen Preise für die Produkte. Diese seien noch einmal ein besonderes Segment im Bio-Sektor. »Aber wir wollen schon, dass das Schule macht«, sagt er, um die Vernichtung der männlichen Küken oder ihre Verwendung als Viehfutter zu stoppen. Auch Tierschützer fordern, das sinnlose Töten von männlichen Küken endlich zu beenden. Zuletzt war 2013 eine entsprechende Initiative auf Bundesebene gescheitert. Damals hatte Nordrhein-Westfalen auf Betreiben von Tierschutzverbänden angestrebt, das Töten der Küken per Gerichtsbeschluss als tierschutzwidrig zu verbieten. Das Verwaltungsgericht Minden lehnte jedoch ab, weil diese Praxis international üblich sei. Das Oberverwaltungsgericht Münster ließ als nächsthöhere Instanz wissen, das Töten männlicher Küken sei »Teil des Verfahrens zur Versorgung der Bevölkerung mit Eiern und Fleisch«.
Lebensmittelhändler wie Alnatura haben sich unterdessen anders entschieden. Das Biounternehmen bietet unter der eigenen Marke nur noch Eier von Hennen an, deren Brüder ebenfalls aufgezogen werden.
»Wir können uns vor Nachfrage kaum retten, wollen unbedingt erweitern«, sagt Fürstenhof-Chef Friedrich Behrens. Längerfristig sollen ähnlich viele Hähne aufgezogen wie Hennen gehalten werden. Aktuell sind es 300 000 Hennen. »Wir sprechen derzeit mit Landwirten, die wegen der niedrigen Aufkaufpreise ihre Milchproduktion aufgegeben haben. Vielleicht lässt sich ja der eine oder andere Kuhstall zum Hühnerstall umbauen«, hofft Firmenchef Behrens. dpa/nd
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.