Vorsicht mit dem Traktor!
Auf der Computerspielemesse Gamescom durften auch Politiker die neuesten Unterhaltungsprogramme testen
Montagabend im Kölner Jugendpark am Rhein: Das Gamescom-Camp hat begonnen. Zwar dauert es noch zwei Tage, bis die Messe für alle Besucher öffnet, aber viele junge Spieler sind schon da. Es sieht ein bisschen aus wie bei einem Festival. Die Zelte sind allerdings nicht mit den Logos von Bands geschmückt, sondern mit den Emblemen von Computerspielen. Auf Gaskochern stehen Raviolidosen, ein Feuer brennt.
Ein paar Meter weiter mit Blick auf den Rhein sitzen Stefan und Daniel, beide Anfang 20, aus »einem Dorf bei Stuttgart«. Auf ihrer Parkbank haben sie zwei Flaschen Bier und einen Laptop, auf dem Microsofts Präsentation des Strategieklassikers »Age of Empires« läuft. Die erste Version des Spiels erschien vor 20 Jahren. Daniel ist Fan, »mein großer Bruder hat das damals gezockt«, erzählt er. Er sei da reingewachsen, habe den Bruder manchmal zu LAN-Partys begleiten dürfen. Er freut sich schon darauf, auf der Gamescom das modernisierte »Age of Empires« spielen zu können. Als Microsoft einen vierten Teil der Serie ankündigt, strahlt Daniel.
Köln. Vor Beginn der Spielemesse Gamescom warnt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), vor den Gefahren übermäßiger Computernutzung. 5,8 Prozent aller Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren zeigten inzwischen ein gestörtes Internet- oder Computerspielverhalten, erklärte Mortler am Montag. »Sie haben Schwierigkeiten, ihr Spiel zu kon-trollieren, und zeigen ›Entzugserscheinungen‹ wie Aggressivität, Rückzug vom Alltag oder Depressionen.« Der Anteil der Betroffenen sei von 2011 bis 2015 gestiegen: bei Jungen von 3,0 auf 5,3 Prozent, bei Mädchen sogar von 3,3 auf 6,2 Prozent.
Während die betroffenen Jungen eher exzessiv Computer spielten, nutzten viele betroffene Mädchen vor allem soziale Medien. Mortler betonte, neben Aufklärungskampagnen sei es wichtig, dass Eltern ein gutes Vorbild seien. »Wer beim Abendessen selbst das Smartphone oder Tablet nicht mehr weglegt, ist den Kids gegenüber wenig glaubwürdig und vermittelt sicherlich keine gesunde Online/Offline-Balance.«
Mortler verwies auch auf das Programm »Net-Piloten« der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Dabei klären ausgebildete Jugendliche in Schulen Gleichaltrige über die maßvolle Nutzung von Computer und Internet auf.
Die Gamescom stellt seit Dienstag bis Samstag in Köln Neuheiten aus der Welt der interaktiven Unterhaltung vor. epd/nd
Stefan findet das Strategiespiel »ganz okay«. Er freut sich mehr auf die zahlreichen Rennspiele, die bei der diesjährigen Gamescom erstmals spielbar sind. Der Plan der beiden Jungs aus Süddeutschland für die Computerspielemesse ist einfach: Von Mittwoch bis Freitag wollen sie jeweils kurz nach Öffnung in die Messehallen, dann gleich zu den favorisierten Spielen. Spätestens am Nachmittag könne man es »vergessen«, die interessanten Spiele ausprobieren zu wollen. Wartezeiten von drei Stunden seien keine Seltenheit. Nachmittags und abends sei aber eh das Drumherum spannender. Beim Camp treffe man viele Leute, das Programm sei interessant. Dass die Gamescom diesmal so viele Politiker wie noch nie anzieht, ist beiden ziemlich egal. In Spielemagazinen hat Daniel »zwei oder drei Artikel« über den Besuch der Kanzlerin gelesen. Stefan ergänzt aber, dass es gut sei, dass Politiker kämen, dann würden sie hoffentlich nicht mehr über »Killerspiele« reden.
An diese Debatte erinnerte auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bei der Eröffnung der Gamescom. Als die Messe im Jahr 2009 nach Köln kam, sei er noch Jugendminister gewesen. Mittlerweile habe sich die Debatte geändert. Laschet hofft, dass die Menschen, die Merkel in den Abendnachrichten bei der Messe sähen, sich denken, »es müsse doch was ordentliches sein, wenn die Kanzlerin dahin geht«.
Felix Falk, Chef des Bundesverbands Interaktive Unterhaltungssoftware, der die Gamescom veranstaltet, hat dagegen eine deutliche Botschaft an die zahlreichen versammelten Politiker: Die Branche brauche eine spezifische Industrieförderung. Von 100 Euro, die in Deutschland mit Spielen umgesetzt würden, blieben nur 7 Euro im Land. Das gehe auch anders, sagt Falk und nennt das diesjährige Partnerland Kanada als Beispiel. Auch Frankreich und Polen machten es besser. Mit Spielen, in denen es etwa um französische Comics gehe, sei die Spielebranche in Frankreich auch ein wichtiger Kulturträger. Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) müsse sich »keine Sorgen« machen, erklärte Falk. Jeder Euro Fördersumme komme um ein Vielfaches wieder zurück in die Kassen des Bundes.
Merkel scheint mit der Gamesbranche derweil noch etwas zu fremdeln. Nachdem sie sich etwas steif mit als Computerspielefiguren verkleideten Messeangestellten fotografieren lassen hatte, kam der politische Teil: Spiele seien ein gutes Mittel, um zu lernen und die Welt zu entdecken, so Merkel. Dafür sei die Gamescom auch ein »hervorragender Ort« Und dass die Branche mehr Förderung wolle, sei auch bei ihr angekommen, dafür müsse man sich »in der nächsten Legislaturperiode« zusammensetzen.
Merkels Lob für die Spieleindustrie ging aber in eine andere Richtung: Techniken und Entwicklungen aus dem Bereich Spiele seien auch allgemein im Bereich »Industrie 4.0« einsetzbar. Wenn man in den Schulen mehr digitales, spielerisches Lernen vermitteln könne, sei das bestimmt auch gut, so die Kanzlerin. Jedenfalls wollte sie einer »wachsenden Branche« ihre »Referenz erweisen«. Vielleicht konnte sich Merkel am Nachmittag stärker für die Spiele begeistern: Neben einem Autorennspiel testete sie den »Landwirtschaftssimulator« des Schweizer Spieleentwicklers Giants Software, wurde dabei aber mehrmals von einem Mitarbeiter des Messestandes ermahnt, »vorsichtig« zu sein: Sie hatte den Traktor etwas zu ungestüm bedient.
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