Schattenkämpfe an der Alster
An diesem Freitag beginnen die Weltmeisterschaften der Amateurboxer in Hamburg - den Landesverband belastet ein Skandal
Ursprünglich sollten die Weltmeisterschaften ein wichtiger Baustein Hamburgs auf dem Weg zur Olympiabewerbung 2024 sein, als sie vor zwei Jahren vom Weltverband AIBA anlässlich der WM in Doha an die Hansestadt vergeben wurden. Hamburg hatte sich gegen Taschkent und Sotschi durchgesetzt - und sich somit gegen zwei Städte aus Ländern behauptet, die als klassische Hochburgen des Amateurboxens gelten. »Jetzt haben wir die Chance, mit Hamburg Werbung für Olympia 2024 zu machen. Wir werden zeigen, was wir können«, hatte Jürgen Kyas, damals wie heute Präsident des Deutschen Boxsport-Verbandes (DBV), nach dem Wahlsieg angekündigt.
Die Ereignisse danach führten seine Wünsche ad absurdum. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) verzichtete auf die Bewerbung, nachdem sich die Hamburger in einem Referendum im November 2015 gegen Olympia ausgesprochen hatten. Nun also wenigstens Box-Weltmeisterschaften, zu denen rund 280 Faustkämpfer aus 82 Ländern erwartet in der Hamburger Sporthalle werden.
Die sportlichen Prognosen des Gastgebers halten sich dabei in engen Grenzen. Kein Wunder: Bislang gab es lediglich fünf deutsche Weltmeister, die später alle mehr oder weniger erfolgreich ins Profilager wechselten. Allen voran Henry Maske, der erste deutsche Amateurweltmeister 1989 in Moskau. Sein Erbe traten 1991 in Sydney Torsten May und Marco Rudolph an, 1995 folgte in Berlin Zoltan Lunka, zuletzt siegte mit Jack Culcay ein Deutscher 2009 in Mailand. Die letzten WM-Medaillen für den DBV holten Eric Pfeifer und Araik Marutjan als Dritte 2013 in Almaty.
Auch der letzte olympische Auftritt 2016 in Rio de Janeiro war bescheiden: eine Bronzemedaille durch Artem Harutyunyan. Der Halbweltergewichtler gehört natürlich auch in Hamburg zum zehnköpfigen WM-Aufgebot und gilt als größter Hoffnungsträger. Der Lokalmatador wurde von seinem Schwiegervater Artur Grigorian auf die WM vorbereitet und wechselte dafür vom Leistungsstützpunkt Schwerin wieder zurück an die Elbe. Ein weiterer Medaillenkandidat ist Abbas Baraou im Weltergewicht. Der 22-Jährige gewann im Juni bei der EM in der Ukraine den Titel.
Während sich der Gastgeber im Ring an kleine Hoffnungen klammert, kämpft er hinter den Kulissen gegen tiefe Schatten an. Seit Mitte Dezember 2016 herrscht im Hamburger Amateur-Boxverband (HABV) erhebliche Unruhe. Der Grund: Gegen den damaligen Sportdirektor und Landestrainer Christan Morales liegt eine Strafanzeige wegen mutmaßlichen Missbrauchs Schutzbefohlener vor. Es soll sich dabei um Vorfälle zwischen 2010 und 2013 handeln. Der 36-Jährige, der erst im Frühjahr 2016 zum HABV gewechselt war, wurde daraufhin mit sofortiger Wirkung von seinen Ämtern entbunden. Morales war zuvor sieben Jahre Landestrainer am Bundesstützpunkt in Schwerin, bis sein Vertrag zum Jahresende 2015 fristlos gekündigt wurde. Vor dem Arbeitsgericht erstritt Morales eine Kündigung mit Abfindung. Inwieweit seine Ablösung in Schwerin mit den nun aufgetauchten Vorwürfen zusammenhängt, ist unklar.
Inzwischen eskalierte der Vorgang. Denn die Suspendierung von Morales wurde von fünf HABV-Vorstandsmitgliedern auf einer beschlussfähigen Vorstandsitzung am 10. Mai 2017 einstimmig aufgehoben. »Uns lag keine Tatsachengrundlage für eine Aufrechterhaltung der Suspendierung vor«, erklärte dazu Ömrü Özkan, der erst Ende März ins Amt als neuer HABV-Präsident gewählt worden war. Dieser Beschluss gelte solange, bis ein Strafverfahren gegen den Beschuldigten eingeleitet wird. Dem Vernehmen nach soll die Staatsanwaltschaft in Schwerin Ermittlungen aufgenommen haben. Morales erklärte unterdessen, dass er bis zur Klärung der Vorwürfe nicht von seinem Posten zurücktrete. Er hoffe, dass bald ein Strafverfahren eröffnet werde. »Ich möchte, dass alle Vorwürfe ausgeräumt werden.« Er spricht von »Verleumdung« und droht selbst mit einer Klage.
Die Turbulenzen an der Alster haben inzwischen den HABV in zwei Lager gespalten. Teile des Vorstandes weigern sich, weiter mit Morales zusammenzuarbeiten. Zu ihnen gehört auch HABV-Vizepräsident André Walther. »Es ist eine unerträgliche Situation. Ich bleibe dabei, dass es vorerst bei der Suspendierung von Morales bleiben muss. Leider kann man nun nicht mehr ausschließen, dass er bei den Weltmeisterschaften in der Hamburger Sporthalle auftaucht. Das wäre in meinen Augen für keine Seite gut«, so Walther gegenüber »nd«.
Auch der DBV hat dem Hamburger Landesverbandd dringend empfohlen, die Suspendierung bis zur rechtlichen Klärung der Vorwürfe aufrechtzuerhalten. »Ich halte es für unklug, diese aufzuheben, so lange nichts geklärt ist. Die Suspendierung dient auch zum Schutz des Beschuldigten, aber vor allem auch des mutmaßlichen Opfers«, so DBV-Präsident Jürgen Kyas.
Der DOSB verweist in diesem Zusammenhang auf seine Richtlinien für Fälle von sexualisierter Gewalt. »Grundsätzlich gilt es immer, den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen sowie der Beschuldigten bis zur Klärung des Falls zu wahren. Alle Schritte bis hin zu einer Suspendierung während eines Ermittlungsverfahrens dienen dem Schutz der Schutzbefohlenen, aber auch dem der Beschuldigten«, heißt beim DOSB.
In dem schwebenden Verfahren will sich jetzt keine Seite mehr äußern. Auch der Hamburger Sportbund, der angeblich damit gedroht habe, dem HABV die Fördermittel zu streichen, sollte man an der Rücknahme der Suspendierung festhalten, hält sich bedeckt. Zurückbleibt ein tiefer Schatten über den Weltmeisterschaften in Hamburg.
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