Die üblichen Verdächtigen
Kontroverse Debatte zum Pilotprojekt der Bundespolizei zur Gesichtserkennung
Ein kleine Gruppe Menschen bewegt sich Richtung Rolltreppe zur Westhalle am Bahnhof Südkreuz. Sie tragen Sonnenbrillen und Kopfbedeckungen, die sie wie Tiger aussehen lassen, lesen Zeitung oder tragen ihre Haare vor dem Gesicht. So wollen sie von der Gesichtserkennungssoftware nicht erkannt werden. Währenddessen steht Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hinter einer Scheibe auf der gegenüberliegenden Seite der Halle und verschafft sich einen Überblick über die Lage. Die Bundespolizei testet hier seit Anfang August eine Software, die es möglich macht, Gesichter zu erkennen. Dagegen richteten sich am Donnerstagmorgen Protestaktionen von Bürgerrechtlern.
Die Software soll dabei helfen, Straftäter oder verdächtige Personen in Menschenmengen zu erkennen. Damit könnten diese nach Vorstellungen des Innenministeriums auf der Flucht gefasst oder auch Terroranschläge verhindert werden. Für einen sechs Monate währenden Probelauf wurden in der Westhalle am Südkreuz drei Kameras angebracht. Dreihundert freiwillige Versuchspersonen sollen erkannt werden. Diese tragen einen Chip bei sich, der Informationen liefert, wie oft die Personen in der Halle sind. So kann die Fehlerquote der Erkennungssoftware analysiert werden. Datenschützer kritisierten den Test von Innenministerium, Bundespolizei und Deutsche Bahn bereits im Vorfeld.
Vor kurzem wurde nun bekannt, dass die eingesetzten Chips nicht denen entsprechen, die von der Polizei angekündigt worden sind. Im Gegensatz zu diesen können die Chips, die an die freiwilligen Teilnehmer ausgeteilt worden sind, deutlich mehr dokumentieren. Sie sind in der Lage, beispielsweise den Standort, die Beschleunigung oder die Temperatur zu speichern. Zuerst sollte nur eine Art eingesetzt werden, die erkennt, ob sich die Person in der Halle aufhält.
»Es sind gerade zwölf Teilnehmer in der Nähe«, sagt Paul Gerstenkorn, während er auf sein Smartphone blickt. Der Vertreter des Vereins Digitalcourage zeigt, wie einfach es ist, die Daten der Chips auszulesen. Mit einer frei verfügbaren App des Herstellers der Technik sieht er auf seinem Bildschirm alle Sender im Umkreis - inklusive Temperatur und Batteriestand. Es ist sogar möglich, mit ein paar Tricks den Chip über das Mobiltelefon zu konfigurieren. Dafür müsste zum Beispiel nur kurz der Kontakt zwischen Batterie und Sender unterbrochen sein. Dann könnten auch Dritte andere Daten wie Beschleunigung oder Neigung des Geräts erfassen. Das findet Gerstenkorn bedenklich: »Wenn es von staatlichen Stellen genutzt wird, sollte es mindestens schon verschlüsselt sein.«
Dieser Meinung ist auch die Sprecherin des Chaos Computer Clubs Constanze Kurz. Sie möchte ihre Kritik jedoch nicht auf die aktuellen Vorwürfe beschränken. »Es ist schön, dass man darüber die Öffentlichkeit erreicht«, sagt Kurz. Aus ihrer Sicht ist das eigentliche Problem das Projekt an sich. Die eingesetzte Methode hebe die Trennung zwischen Raum- und Personenüberwachung auf. Das sei rechtlich umstritten und kritisch zu betrachten, denn auch Menschen, die dem Projekt nicht ausdrücklich zugestimmt haben, werden von der Erkennungssoftware erfasst.
Insgesamt sei der Versuch auch aufgrund seines Aufbaus fragwürdig. Um ein repräsentatives Ergebnis zu erzielen, hätte die Bundespolizei die Teilnehmer anders aussuchen müssen, meint die Computerexpertin. Unter den vielen Freiwilligen hatte die Bundespolizei eine beliebige Auswahl getroffen. Besser wäre aber gewesen, die Testpersonen nach Alter und Geschlecht auszuwählen, um die Software auf diese Merkmale hin testen zu können.
Auch die Datenschutzbeauftragte des Bundes, Andrea Voßhoff, forderte einen vorläufigen Stopp des Projekts. Die Teilnehmer seien nicht genug über die Funktionen der eingesetzten Technik informiert worden.
Bundesinnenminister de Maizière hingegen zieht einen Abbruch des Tests nicht in Erwägung. Stattdessen verteidigte er den Test und sprach von einem »unglaublichen Sicherheitsgewinn«, der durch die neue Technik möglich sei. Man müsse ihre Zuverlässigkeit prüfen, um die Verbrechens- und Terrorbekämpfung zu verbessern. In den ersten vier Wochen habe sie eine »erstaunliche Treffgenauigkeit« gezeigt. Den eingesetzten Chips müssten die Teilnehmer allerdings noch einmal zustimmen.
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