Sinkflug in der Hochkonjunktur
Berechnungen des DIW zeigen einen Reallohnverlust
Die Reallöhne sind laut Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) wieder gesunken. Nach einer internen Auswertung von Daten des statistischen Bundesamtes, die »nd« vorliegt, sanken die Löhne zwischen den ersten Quartalen 2016 und 2017 insgesamt um 0,3 Prozent. Die Löhne von Angelernten sanken um 0,4 Prozent, die von Ungelernten sogar um 0,8 Prozent. Hingegen stiegen die Löhne von Führungskräften um ein Prozent. »Was nun zu Buche schlägt ist, dass die Teuerung angezogen hat«, sagt Karl Brenke, Volkswirt am DIW. Weil die Nominallöhne zuletzt nicht gestiegen sind, führe das zum Absinken der Reallöhne. Zwischen 2014 und 2016 waren die Reallöhne der unteren Einkommensgruppen noch gestiegen. Ein Effekt des neu eingeführten Mindestlohns, der zeitlich begrenzt war und nun verflogen ist, meint Brenke.
Auch das Bundeswirtschaftsministerium hatte in diesem Monat in einem Papier beklagt, dass die Lohnungleichheit bis zum Jahr 2010 deutlich zugenommen habe und seitdem auf historisch hohem Niveau stagniere. Die neuen Zahlen des DIW aber zeigen: Die Lohnungleichheit stagniert nicht. Sie nimmt sogar zu.
»Eigentlich hätten die Löhne auf breiter Front steigen müssen«, sagt Brenke. Die Konjunktur sei blendend, die Beschäftigung habe stark zugenommen - die Konkurrenz der Unternehmen um Beschäftigte müsste die Lohnentwicklung entsprechend antreiben. Auch EZB-Chef Mario Draghi zeigte sich darüber zuletzt verwundert. Die EZB versucht seit Jahren durch einen niedrigen Leitzins die Inflation anzufachen. Draghi hofft dabei auch auf Lohnsteigerungen. Doch die bleiben aus. Der EZB-Chef erklärt sich dies zum einen durch die hohe Zahl an Minijobbern und Teilzeitbeschäftigten, die eher dazu neigen, Arbeitszeit aufzustocken, als Lohnerhöhungen einzufordern. Anderseits nennt Draghi Arbeitsmarktreformen als Grund, die die Position von Beschäftigten gegenüber Unternehmen geschwächt haben.
Familienministerin Katarina Barley (SPD) und Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) haben indes am Donnerstag auf einer Wahlkampfveranstaltung in Mainz Lohnsteigerungen für Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen in Aussicht gestellt. Pfleger und Erzieher leisteten harte Arbeit unter hohem Druck und zu niedrigen Löhnen, sagte Nahles bei der Vorstellung des »Aktionsprogramms zur Aufwertung sozialer Berufe«. Der hohe Wettbewerbsdruck in der Gesundheitsbranche würde auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen, heißt es im Papier. Neben Lohnerhöhungen will die SPD durchsetzen, dass die Erzieherausbildung, die bislang teilweise kostenpflichtig ist, vergütet wird. Ausbildungsgänge in den Sozial- und Gesundheitsberufen sollten umfassend in die Sozialversicherung einbezogen werden.
Das Arbeitsministerium hatte im Juni Gespräche mit Spitzenvertretern von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden, sowie Wohlfahrtsverbänden geführt. Man wolle nun in einen »Branchendialog« eintreten, hieß es am Donnerstag. Ver.di-Chef Frank Bsirske warnte gegenüber Medien sogleich vor einem Fachkräftemangel im Gesundheitswesen - schon heute fehlten bundesweit 70 000 Fachkräfte. Er rief Arbeitgeber auf, für Mangelberufe gute Arbeitsbedingungen zu schaffen und angemessene Löhne zu zahlen. Geht es nach der SPD, könnte ver.di schon bald Tariflöhne im Gesundheitswesen verhandeln: Nahles versprach, sich für einen bundesweit geltenden Tarifvertrag Soziales einzusetzen. Derzeit liegt der brancheneigene Mindestlohn zwischen 10,85 und 11,35 Euro. Der Schlüssel für höhere Löhne liege in der Tarifpartnerschaft, sagte Nahles.
DIW-Volkswirt Brenke widerspricht: »In der Tarifpolitik der Gewerkschaften gibt es offensichtlich ein Problem.« Gewerkschaften hätten zuletzt nicht hart genug verhandelt. Deswegen seien die Löhne nicht gestiegen. Laut Tariflohnindex der Bundesbank sind die Tariflöhne im Juni in der Tat nur um 1,6 Prozent gestiegen und wurden durch die Inflation aufgefressen. Die IG Metall betont, dass sie in den vergangenen Jahren Tariferhöhungen weit oberhalb der Inflationsrate durchgesetzt habe. Auch Norbert Reuter, Leiter der Grundsatzabteilung Tarifpolitik bei ver.di äußert Zufriedenheit. Allerdings würden Gewerkschaften in Tarifverhandlungen vor allem mit der Preissteigerung argumentieren. Deswegen fehlten bei schwacher Inflation gegenüber Unternehmen Argumente für spürbar höhere Löhne.
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