Vom Krieg ins Exil - und von dort zur WM
Syriens Fußballer spielen nur auswärts, trotzdem ist die Qualifikation greifbar. Oppositionelle verachten das Team
Fahnen, Tröten, Stirnbänder in den Landesfarben - alles war da für ein Fußballfest syrischer Fans im fernen Malakka. Mehr als 7000 Kilometer entfernt von der Heimat stieß die syrische Nationalmannschaft in der malaysischen Stadt mit einem 3:1-Sieg gegen den Gastgeber der übernächsten WM die Tore weit auf für eine Teilnahme an der WM-Endrunde 2018. »Yes, we can!«, skandierten die Fans, meist Studenten und einige wohlsituierte Geschäftsleute, aber auch einige Menschen mit dem offiziellen UNHCR-Flüchtlingspass. Der Wahlspruch Barack Obamas drückte ihr Vertrauen in die eigene Kraft aus - und in die der syrischen Fußballer.
Dieses »Yes, we can!« hat viele Bedeutungsebenen. Zunächst die rein sportliche: Die Fußballtruppe des vom Krieg geplagten Landes, das seine Spiele eben nicht zu Hause austragen kann, schlug die mit viel Geld, internationaler Expertise und der Hilfe so manches eingebürgerten Profis verbesserte Auswahl des WM-Gastgebers von 2022, der damit jede Chance auf eine Qualifikation für 2018 endgültig einbüßte.
Während für Katar zwei frühere algerische U23-Auswahlspieler und ein gebürtiger Portugiese aufliefen, und der in Bahrain geborene Ali Assadalla das Ehrentor zum zwischenzeitlichen Ausgleich erzielte, griff Syriens Trainer Ayman Alhkeem ausschließlich auf Spieler der eigenen Fußballkultur zurück. Der Sieg Syriens war auch ein Sieg des Underdog-Fußballs gegen das große Geld.
»Es ist jetzt alles möglich. Wir wollen noch einen Sieg gegen Iran folgen lassen. Dann werden wir sehen, ob dies für Platz zwei oder drei in der Gruppe reicht«, meinte Coach Alhkeem nach dem Spiel. Platz zwei, erreichbar nur, wenn der zwei Punkte bessere aktuelle Zweite Südkorea beim Gruppenvierten Usbekistan - seinerseits punktgleich mit Syrien - verliert, würde die direkte WM-Qualifikation bedeuten. Platz drei hingegen öffnet den dornigen Weg über zwei Playoffs: Zunächst gegen den Drittplatzierten der anderen Asiengruppe und dann, im interkontinentalen Showdown, gegen einen Vertreter des nord- und mittelamerikanischen Verbandes CONCACAF. Es stehen also noch einige Endspiele bevor. Das »Yes we can!« bereitete auch darauf vor.
Für die syrischen Fans in Malaysia, mit denen »nd« sprach, steckte in diesem Spruch aber auch der Beweis, dass sie noch anderes können, als am und im Krieg zu leiden. »Ja, es ist Krieg. Aber wir wollen nicht immer nur traurig sein. Wir wollen auch den Krieg vergessen und fröhlich sein. Und mit dem Fußball gelingt das«, meinte etwa Marwa. Die junge Frau stand mitten im Pulk der etwa 300 syrischen Fans. Sie griff sich eine Fahne, und auch ihre Kinder schwenkten begeistert Flaggen. In Malaysia ist sie, weil sie Urlaub macht. »Wir sind schon seit zwei Monaten hier, besuchen meinen Schwager, der in Kuala Lumpur ein Restaurant hat, und kehren in einer Woche nach Damaskus zurück, weil dann dort wieder die Schule beginnt«, erzählt die Bankangestellte. Auch das gibt es in der syrischen Community in Malaysia.
1900 syrische Migranten zählt die hiesige UNHCR-Stelle. Sie dürfen nicht arbeiten, nicht studieren, nicht einmal einen Führerschein anmelden - aber sie sind in Sicherheit. Etwa 10 000 kamen in einer ersten Welle in den Jahren 2011 und 2012. »Die meisten haben das Land längst wieder in Richtung Türkei, Jordanien oder Libanon verlassen. Dort sind die Bedingungen besser«, erzählt Mohamad, der vor der Rebellion in Syrien schon ein Ingenieursstudium in Malaysia aufgenommen hatte. Jetzt sitzt er in Kuala Lumpur fest, weil sein Pass aufgrund der Kriegssituation nicht verlängert wurde. Andere Syrer wie Marwas Schwager sind unabhängig vom Krieg als Geschäftsleute in Malaysia unterwegs. Wieder andere kamen zum Studium her.
Und Marwa eben zum Urlaub. Angst vor der Rückkehr hat sie nicht. »Wenn ich Angst hätte, würde ich mit meinen Kindern nicht zurückgehen. Aber die Situation ist gut jetzt. Diesen Notstand, wie er in internationalen Medien geschildert wird, haben wir nicht. Wir haben genug zu essen, es gibt Strom, Wasser, alles«, versichert sie - und gibt sich wieder der Ablenkung hin, die ihr der Fußball gerade bietet.
Als genau das, als Licht im Kriegsalltag, begreifen auch die Spieler ihr Tun. »Wir wollen in diesen dunklen Zeiten Hoffnung bringen für alle Syrer. Deshalb spielen wir für das Nationalteam«, sagt Firas Al Khatib gegenüber »nd«. Al Khatib ist Kapitän und Anführer. Vier Jahre lang war er dem Nationalteam ferngeblieben. Auch aus politischen Gründen. 2012, damals in Kuwait spielend, solidarisierte er sich mit der Opposition. Das brachte ihm viel Respekt unter Fans ein, zumindest unter denen, die sich selbst der Opposition zugehörig fühlten. Im Frühjahr 2017 kehrte er aber zur Nationalmannschaft zurück.
Das spaltet die Anhängerschaft. Manche Syrer in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur bezeichnen Al Khatibs Fernbleiben von der Auswahl als Fehler. »Er hat nicht zwischen dem Regime und der Mannschaft unterschieden. Die Regierung ist das eine, das Nationalteam das andere«, sagt der 17-jährige Mohamad, dessen Eltern in Katar leben, und der nun in Malaysia Medizin studieren wird.
Syrer in Deutschland hingegen sehen in Al Khatibs Rückkehr einen Kotau vor den Herrschenden. »Ich verstehe es nicht, und ich bin traurig, wenn unsere großen Spieler, die im Ausland spielen, und die sich auf die Seite der Opposition gestellt hatten, jetzt ihre Meinung geändert haben«, sagte Usama, einst ein Anhänger des FC Karameh aus Homs, der einige Zeit als Fotograf für die Vereins-Homepage gearbeitet hatte. Er lebt heute in Berlin. Für Usama ist die Nationalmannschaft ohne Zweifel eine »Mannschaft des Regimes«: »Ich schaue mir deren Spiele nicht an, auch nicht mehr die Spiele der syrischen Premier League«, erzählt er. Seine Ablehnung äußert er noch drastischer: »Ich schäme mich nicht zu sagen: Ich will nicht, dass diese Mannschaft gewinnt. Ich will nicht, dass sie die WM in Russland spielt, denn das wäre nur eine Show für das Regime.«
Kapitän Al Khatib, der beim Sieg über Katar die Vorlage zum 1:0 gab, wollte sich nach dem Spiel auf Nachfrage nicht über die Gründe seiner Rückkehr äußern: »Ich will nicht über die Vergangenheit nachdenken, sondern in die Zukunft schauen. Unsere Leute sind alle müde nach sechs Jahren Krieg. Es sind viele gestorben. Wir betrauern sie, sie sind in unserem Gedächtnis. Aber sie kommen nicht zurück. Wenn wir nur an die Vergangenheit denken, dann sitzen wir zu Hause und weinen. Wir wollen aber an die Zukunft denken und unser Land aufbauen.«
Als ein Signal für die Zukunft will er seine Rückkehr sehen - wie auch die von Stürmerstar Omar Al Soma, der wegen seiner Statur und Treffsicherheit »der syrische Ibrahimovic« genannt wird. Gegen Al Soma, der in Saudi-Arabien spielt, soll es laut arabischen Medien einen Haftbefehl der syrischen Sicherheitsorgane gegeben haben. Jetzt aber spielt er wieder in einem Team, dessen Geld von der Regierung kommt.
Ist seine Rückkehr ein Büßergang, wie es Kritiker vermuten, eine Unterwerfungsgeste? Oder ein Zeichen für eine bessere Zukunft? Zumindest Al Khatib glaubt an Letzteres: »Ich rede oft mit Al Soma darüber. Wir wollen, dass die Syrer wiederkommen und das Land aufbauen, alle zusammen.« Deshalb spielen sie zumindest wieder zusammen Fußball: die Rückkehrer Al Khatib und Al Soma mit Männern wie dem Doppeltorschützen Omar Kharbin, der zwar auch in Saudi-Arabien sein Geld verdient, aber den größten Teil der WM-Qualifikation für die Nationalmannschaft bestritt.
In dem »Yes, we can« von Malakka steckt die Hoffnung auf eine geeinte Gesellschaft. Die Parole ist aber auch ein Signal ins Regierungsviertel von Damaskus. Diese syrische Bevölkerung, die durch den Krieg in alle Weltgegenden verstreut worden ist, hat internationale Erfahrungen gesammelt. Sie wird sich, bei aller Sehnsucht nach Frieden, nicht in die gleiche Gesellschaft zurückbringen lassen, wie sie vor dem Krieg existierte.
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