Mit Bubikopf in den Bundestag
Mechthild Rawert (SPD) ist eine der dienstältesten Abgeordneten der Berliner SPD
»Bei einer leckeren Kugel Eis kann ich mich entspannen«, sagt Mechthild Rawert und schaut auf ihr Smartphone. Es ist schon wieder spät geworden und von Entspannung ist nichts zu merken. Würde der nächste Termin nicht vor der Tür stehen, würde sie die 300 Meter von ihrem Wahlkreisbüro in der Friedrich-Wilhelm-Straße in Tempelhof zum Eisladen »vanille & marille« schlendern, sich ein Schokoeis bestellen und auf einer der Holzbänke davor Platz nehmen. »Man ist hier nie alleine. Mit irgendjemandem kommt man beim Eisessen immer ins Gespräch«, sagt Rawert. Doch für ein Eis ist keine Zeit. Es ist Wahlkampf. Die SPD-Bundestagsabgeordnete ist im Stress.
Dass es der Sozialdemokratin mit dem wild gestylten roten Bubikopf nicht schwer fällt, ins Plaudern zu kommen, ist offensichtlich. Wenn sie aus ihrem Büro heraustritt, grüßen sie viele der Passanten. Rawert grüßt mit einem nonchalanten »Tachchen« zurück. Einige der Passanten kennt sie beim Namen. Im beschaulichen Kiez rund um den Franckepark geht es nachbarschaftlich zu.
»Sich als Politikerin zu kümmern heißt, für alle Menschen und alle Anliegen ein offenes Ohr zu haben«, sagt Rawert. Diesen Grundsatz würde wahrscheinlich jeder Politiker unterschreiben. Der Sozialdemokratin nimmt man ihn jedoch als ehrlich gemeint ab. Die volkstümliche, zupackende Art entspricht ihrem Naturell.
»Rawert? Das ist doch die mit dem kurzen Wuschelkopf. Die kenne ich schon vom letzten Wahlkampf. Die ist sympathisch«, erwidert ein Anwohner der Friedrich-Wilhelm-Straße spontan, als er auf die Kandidatin angesprochen wurde. Vor seinem Haus hängt ein Wahlplakat mit Rawerts Konterfei. Die markante Haarpracht als Markenzeichen funktioniert offenbar.
Seit 2005 sitzt Rawert schon als Abgeordnete für ihren Bezirk im Bundestag. Damit ist die 59-Jährige, gebürtig aus Coesfeld in Nordrhein-Westfalen, eine der dienstältesten Bundestagsabgeordneten der Berliner SPD. Damit das so bleibt, ist Rawert täglich auf Achse. Sie steht auf dem Breslauer Platz am Stand. Sie geht auf der Hauptstraße von Tür zu Tür und verteilt Flyer. Wenn die Sommerferien vorbei sind, stehen die Diskussionsrunden mit den anderen Kandidaten aus dem Bezirk in den Schulen an.
Tatsächlich hat sie nicht die klassische Ochsentour durch die Ränge der Parteienhierarchie durchgemacht. Sie war nie in der Bezirksverordnetenversammlung aktiv, auch ein Abgeordnetenmandat in einem Landesparlament hatte Rawert nicht inne. Als junge Frau ist sie mit 27 Jahren in die SPD eingetreten. »Ich habe nie geplant, in die Politik zu gehen«, sagt die studierte Diplompädagogin Rawert. »Ich bin eine klassische Quereinsteigerin. Ich glaube, die Leute merken das auch.« Das Sichdurchboxen war Rawert als ältestes von sieben Kindern aus einer konservativen katholischen Familie in die Wiege gelegt.
Früh schon engagierte sie sich in der Jugend- und Frauenarbeit. Nach dem Studium war sie viele Jahre zentrale Frauenbeauftragte der Charité. Die Überzeugung merkt man ihr an: »Wir Frauen haben nie etwas freiwillig von den Männern bekommen. Unsere Rechte mussten wir uns immer schon erkämpfen«, sagt sie.
Das Engagement für Geschlechtergerechtigkeit ist bis heute Rawerts Steckenpferd. Das bedeutet für sie auch sexuelle Vielfalt, partnerschaftliche Familienarbeitszeit und gute Pflege im Alter.
Und wie sieht es mit ihren Chancen für eine Wiederwahl aus? Die dürfte angesichts des aussichtsreichen Listenplatzes fünf nicht gefährdet sein. Rawerts Ziel ist aber das Direktmandat. 2005 hatte es das letzte Mal geklappt. Bei den Bundestagswahlen 2009 und 2013 unterlag sie ihrem Konkurrenten Jan-Marco Luczak von der CDU und zog über die Landesliste in den Bundestag ein. Auch diesmal dürfte es für Rawert schwierig werden. Aktuellen Prognosen zufolge liegt Luczak bei 34,5 Prozent der Stimmen, Rawert bei 24,5 Prozent. Um den Rückstand noch aufzuholen, muss sie sich schnell verabschieden. Der Anschlusstermin wartet schon.
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