»Sie lügen!« Schlagabtausch nicht nur beim Fünfkampf

Flüchtlinge, Sozialpolitik und schmutzige Diesel-Abgase dominieren kontroverse TV-Formate der kleineren Parteien / Wagenknecht verteidigt Asylrecht

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Berlin. Man kann also auch inhaltlich kontrovers im Fernsehen über Politik reden: Nach dem allgemein als Duett betrachteten Gespräch zwischen Angela Merkel und Martin Schulz zeigte nicht nur der TV-»Fünfkampf« der kleineren Parteien am Montagabend harte Debatten - vor allem um die Themen Migration, Gerechtigkeit und den Abgasskandal.

Gegen Abschiebungen von seit Jahren gut integrierten Menschen wandte sich Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht in der ARD-Sendung. »Solche Menschen abzuschieben ist wirklich unmenschlich«, sagte sie. Auch Abschiebungen nach Afghanistan erteilte sie eine Absage. »Wir sind dafür, dass das Asylrecht gilt.« Dagegen forderte FDP-Chef Christian Lindner: »Wer kein Aufenthaltsrecht hat, der muss so schnell wie möglich zurück.« Um dies durchzusetzen, solle es etwa mit Ländern wie Marokko »robuste Verhandlungen geben«.

Die Spitzenkandidatin der Rechtsaußen-Partei AfD, Alice Weidel, forderte, von vornherein keine Menschen ohne gültige Ausweispapiere ins Land zu lassen. Zudem solle es für Menschen, die nur den eingeschränkten Status des subsidiären Schutzes erhalten, eine »Obergrenze in der Größenordnung von 10.000 geben«. Ausreisepflichtige müssten abgeschoben werden.

Mehr Innere Sicherheit verspricht sich Weidel vor allem von rigorosen Grenzkontrollen. »Wir haben immer noch ungesicherte Grenzen«, so die AfD-Politikerin. Lindner schlug vor, islamistische Gefährder mit Fußfesseln auszustatten. »Wir müssen uns angucken, wo kommen die Menschen her«, sagte dagegen Wagenknecht. Sie wandte sich besonders gegen Waffendeals mit Saudi-Arabien, da von dort »Hassprediger installiert« würden. Und mit Blick auf Weidel ergänzte sie: Wer wie die AfD nur über Abschottung rede, sei inhuman.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) machte in der ARD-Debatte deutlich, dass seine Partei es nicht für sinnvoll hält, Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz wieder den derzeit vorübergehend ausgesetzten Familiennachzug zu gestatten. Dagegen verwies Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir auf die Position auch der Kirchen, dass »Familiennachzug auch die Integration leichter macht«. Zudem »schieben wir die falschen Leute ab«, kritisierte Özdemir. So sei in Bayern »ein Afghane mit optimalen Integrationsprognosen aus seiner Berufsschule herausgerissen« worden, während beispielsweise der Berliner Weihnachtsmarktattentäter Anis Amri im Land blieb.

Kontrovers wurde es auch im Sozialbereich: Wagenknecht nannte es ein »Trauerspiel, das ein reiches Land wie Deutschland bei der Bildungsfinanzierung auf hinteren Plätzen liegt«. Sie forderte zudem 250.000 neue Wohnungen im sozialen Wohnungsbau. Ganz im Gegensatz dazu die AfD, die die Mietentwicklung besser »dem Gleichgewicht des Marktes überlassen« will. Die Ursache für hohe Mieten sah Weidel vorrangig in der »Politik des billigen Geldes der EZB«.

Höhere Löhne gerade »in typischen Frauenberufen« wie etwa in der Pflege, forderte Özdemir. Dies sei auch notwendig, um Altersarmut zu vermeiden. Herrmann stellte sich beim Thema Rente hinter Merkels Versprechen vom Vortag, den Renteneintritt nicht über 67 Jahre hinaus anzuheben. Lindner will dagegen statt fester Altersgrenzen den Beginn des Rentenbezugs über Zu- und Abschläge steuern.

Wagenknecht sagte zum Skandal um manipulierte Abgaswerte von Dieselmotoren, die Bundesregierung traue sich nicht, die Konzerne auf Nachrüstungen zu verpflichten. Die Grünen treten indes für ein Verbot von Neuzulassung ab 2030 ein. Die AfD-Spitzenkandidatin sprach sich für eine Bestandsgarantie für Verbrennungsmotoren aus. FDP-Chef Lindner schlug vor, Bundesanteile an Post und Telekom zu verkaufen, um den Ausbau der Infrastruktur zu bezahlen. Der CSU-Politiker Herrmann sagte dagegen: »Private Unternehmen versorgen eben nicht flächendeckend, jetzt muss der Staat dafür sorgen.«

Noch lebhafter als im »Fünfkampf« ging es eine Stunde zuvor im Dreier-»Schlagabtausch« des ZDF von Grünen, Linkspartei und CSU zu. »Sie lügen«, warf LINKEN-Spitzenmann Dietmar Bartsch hier seiner Grünen-Kontrahentin Katrin Göring-Eckardt vor, als die der Linkspartei Doppelzüngigkeit in Sachen Braunkohle vorwarf. Und beim Thema Diesel-Manipulationen griff Bartsch direkt den als CSU-Vertreter geladenen Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt an: »Niemand glaubt, dass Sie davon nichts gewusst haben.«

Bartsch nannte zudem das Wahlversprechen von Union und SPD, 15.000 neue Polizeistellen zu schaffen, unseriös. Wer sich auskenne, wisse, dass nur gut tausend Polizisten im Jahr ausgebildet werden könnten. Zur Umverteilung sagte Bartsch, »wir wollen für Ausgleich sorgen. Die, die über große Vermögen verfügen, sollen zur Kasse gebeten werden«. Und auch die Außenpolitik kam zur Sprache: »Wenn wir weiter Waffen exportieren, machen wir was falsch. Waffen dürfen nicht in Krisengebiete«, so der Linksfraktionschef.

So war das danach auch beim TV-»Fünfkampf«: Lindner wollte denn auch den als möglichen Außenminister gehandelten Özdemir in Sachen Russlandpolitik in eine Zwickmühle bringen: »Martin Schulz will die amerikanischen Nuklearwaffen aus Deutschland abziehen, obwohl Putin aufrüstet. Wo stehst du?« Özdemir antwortete: »Ich bin für ein atomwaffenfreies Deutschland und für ein atomwaffenfreies Europa.« Dafür solle sich die nächste Außenministerin - ja, Ministerin - einsetzen. Özdemirs Gegenfrage nach den verletzten Grenzen der Ukraine und Lindners Haltung zu Präsident Wladimir Putin durfte Lindner nicht beantworten, da war der Zeitplan der Moderatoren davor.

Und die Koalitionsfrage? »Schwarz-Gelb ist ein Riesenproblem. Und eine große Koalition, die macht weiter mit Aussitzen«, sagte Göring-Eckardt. Bleibt also irgendwas mit Grün - angesichts der SPD-Umfrageschwäche Schwarz-Grün oder »Jamaika« mit Union und FDP. Denn mit der AfD will keiner regieren, Linkspartei und Union wollen auch nicht miteinander, und für die SPD reicht es - Stand jetzt - weder mit Grünen und LINKEN noch mit Grünen und FDP.

Die schwarz-grün-gelbe Dreier-Konstellation halten sowohl Realos als auch Parteilinke bei den Grünen für sehr problematisch. Schwarz-Grün dagegen verkaufen die Parteistrategen zunehmend offensiv als Möglichkeit, Schwarz-Gelb zu verhindern und damit, so das Argument, auch vier Jahre Stillstand beim Umwelt- und Klimaschutz. Dass noch ein paar Prozentpünktchen fehlen, das kann sich ja noch ändern.

Ist das realistisch? Dobrindt wurde deutlich: »Mir den beiden geht's definitiv nicht«, sagte er über Göring-Eckardt und Bartsch. Auch CSU-Chef Horst Seehofer hatte zuletzt wieder klar gemacht, dass er sich eine Koalition mit den Grünen kaum vorstellen kann - unter anderem, weil sie das Aus für den Verbrennungsmotor anpeilen. Bei linken Grünen wäre manchen die Opposition lieber, als ihrem Realo-Spitzenduo in eine Koalition mit der Union zu folgen. Und der CSU würde im Landtagswahlkampf 2018 eine Koalition mit den Grünen eher nicht helfen. Agenturen/nd

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