Im Fadenkreuz von Erdogan

Spionageprozess in Hamburg: Türkischer Staatsbürger soll Kurdenpolitiker ausspioniert und womöglich seinen Tod geplant haben

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Geschichte, wie aus einem Spionageroman: Der 32-jährige türkische Staatsbürger Mehmet Fatih S. soll laut Medienberichten vor drei Jahren nach Bremen gezogen sein. Dort habe er als Korrespondent für einen kurdischen Fernsehsender gearbeitet, kurdische Demonstrationen besucht und seine zukünftige Ehefrau kennengelernt. Doch alles diente offenbar nur der Tarnung. Die Ehefrau fand demnach bei ihrem Mann Protokolle über kurdische Aktivisten, die ermordet werden sollten. Daraufhin habe S. versucht, sie für den türkischen Geheimdienst MIT anzuwerben. Sie teilte ihr Wissen stattdessen mit Politikern und Journalisten. Mittlerweile soll sie sich im Zeugenschutzprogramm befinden.

Im April 2016 erfuhr der Kurde Yüksel Koc aus Bremen, Ko-Vorsitzender des »Kongresses der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa« - laut Verfassungsschutz PKK-nah -, dass er neben einer weiteren Person auf der mutmaßlichen Todesliste steht. Sein Anwalt Rainer Ahues beschrieb auf einer Pressekonferenz am Mittwoch, dass die Behörden die Gefahr damals nicht ernst nahmen. Er und weitere kurdische Organisationen sammelten über Monate weitere Hinweise.

Als nächstes nahm die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei in der Hamburger Bürgerschaft, Cansu Özdemir, sich des Falls an. Die Politikerin berichtete, dass der vermeintliche Agent S. ihre Familie kontaktierte - vermutlich zur Einschüchterung. Als auch sie sich an die Behörden wandte, wurde in ihr Fraktionsbüro eingebrochen. Der Druck Özdemirs zeigte Wirkung. Fahnder des Bundeskriminalamtes nahmen S. im Dezember 2016 in Hamburg fest.

Am Donnerstag begann nun der Prozess gegen den mutmaßlichen Spion. Die Bundesanwaltschaft wirft dem 32-Jährigen eine »geheimdienstliche Tätigkeit« gegen die Bundesrepublik vor. Von Herbst 2015 an soll er im Auftrag des türkischen Geheimdienstes die kurdische Szene in Deutschland ausgeforscht haben. Dabei sei es vor allem um Koc gegangen. Über Kontakte zu dessen Familie habe S. versucht, Informationen zu erhalten. 30 000 Euro sei die Belohnung von seinem Auftraggeber gewesen. Kontakt mit dem MIT sei über Mails geführt worden, es habe aber auch zwei Treffen in der Türkei gegeben. Bezüglich möglicher Mordpläne hatte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt - trotz relevanter Hinweise wie handgeschriebener Notizen. Koc wurde als Nebenkläger nicht zugelassen. »Angeklagt ist die Gefährdung des Staates, nicht der einzelnen Personen«, kritisierte Anwalt Ahues auf der Pressekonferenz.

S. gab bei dem Prozess in Hamburg am Donnerstag zu, dass er mit Polizeibeamten in der Türkei zusammengearbeitet habe. Er habe ihnen von Koc erzählt, sagte der Angeklagte zum Auftakt. In seiner Journalistenrolle hätte er diesen auch interviewt.

Für den Prozess sind Verhandlungstermine bis Mitte Oktober angesetzt. Sollte S. schuldig gesprochen werden, könnte ihm eine mehrjährige Haftstrafe drohen. »Es darf nicht hingenommen werden, dass türkische Agenten in Deutschland Oppositionelle verfolgen, einschüchtern oder deren Ermordung planen«, erklärte Cansu Özdemir am Donnerstag. Im Juli informierte die Hamburger Linksfraktion die Sicherheitsbehörden, dass es »mit größter Wahrscheinlichkeit« einen weiteren türkischen Spion in der Hansestadt gebe.

Nach Einschätzung von Sicherheitspolitikern sollen rund 6000 MIT-Spione in Deutschland aktiv sein. Im April habe es 20 laufende Ermittlungsverfahren gegen Verdächtige gegeben, hieß es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten der Linkspartei, Sevim Dagdelen. »Der Strafprozess vor dem OLG Hamburg muss der Auftakt sein für ein entschiedenes Vorgehen gegen Erdogans Netzwerk in Deutschland«, sagte die Politikerin am Donnerstag. Der Agentenring des türkischen Despoten müsse zerschlagen werden. »Erdogans Spitzel, Hetzer und Hassprediger auch in den Reihen des Moscheeverbands DITIB sind mit der ganzen Härte des Rechtsstaats zu verfolgen.«

Dass Gegner des türkischen Staates auch in Europa mit dem Tod bedroht sind, zeigte die Ermordung von drei PKK-Aktivistinnen 2013 in Paris. Der mutmaßliche Schütze Ömer Güney soll laut französischen Ermittlungsbehörden von MIT-Agenten unterstützt worden sein.

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