Damals mit Heiner

Ein Leben ohne Heiner Geißler - Erinnerungen eines enttäuschten Ex-Mitglieds der Jungen Union

  • Frank Jöricke
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war die letzte Hochphase des Kalten Kriegs. Breschnew war gerade gestorben. Ihm sollten zwei weitere Politbüro-Greise folgen, ehe Gorbatschow alles veränderte. Damals aber, Anfang 1983, hätte keiner an Glasnost und Perestroika zu denken gewagt. Wir kannten ja nichts anderes als klare Fronten: USA oder UdSSR? Freiheit oder Sozialismus? Nachrüstung oder Abrüstung?

Man musste sich entscheiden. Selbst in der gemütlichen Bundesrepublik hieß es, Stellung zu beziehen. Es gab die Schwarzen, und es gab die Roten. Und es gab einen Schwarzen, der den Roten blaue Augen verpasste: Heiner Geißler.

Sein offizieller Titel lautete Generalsekretär, aber eigentlich hätte General genügt. Denn Geißler verstand die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner als psychologische Kriegsführung. Und wie im realen Krieg ging es darum, den Feind zu überrumpeln. Ihn dort anzugreifen, wo er es am wenigsten erwartete. Geißler, der clevere Jesuit, tat dies, indem er die SPD nicht von rechts attackierte, sondern von links. Er bezichtigte sie der »Mietlüge« und zitierte als Kronzeugen ausgerechnet den Kommunisten Bertolt Brecht: »Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.« Das war der entscheidende Wirkungstreffer im Wahlkampf 1983. Demagogie auf Champions-League-Niveau.

Natürlich trat ich danach in die Protestbewegung Junge Union ein. Denn es war die beste Möglichkeit, die ach so verständnisvollen 68er-Lehrer endlich mal verständnislos zu erleben. Vor allem aber tat ich es, weil ich Geißlers Grundidee teilte: In der Welt des Kalten Kriegs gab es Gute und Böse. Und weil ich Geißlers Scharfsinn und Klarheit bewunderte, musste er zu den Guten gehören. So einfach war das.
Natürlich wurde ich enttäuscht. Heiner Geißlers Versprechen – eine Politik, die aufregender sein würde als das technokratische Verwalten des Status quo – löste Helmut Kohl nicht ein. Und als Kohl ihn 1989 absägte, war nicht nur Geißlers Parteikarriere zu Ende, sondern auch der Kalte Krieg.

Heute, im Wahlkampf 2017, könnte ich nicht sagen, wer die Guten sind und wer die Bösen. Wahrscheinlich hat auch Geißler es nicht gewusst. Der Mann, der als Inbegriff des »Schwarzen« galt, nahm im Lauf der Jahre immer mehr »rote« Positionen ein und trat Attac bei. Ja, er wurde sogar Schlichter bei Tarifkonflikten und dem Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 – die Zeit der klaren Fronten war auch für Geißler vorbei.

So ist alles ziemlich unübersichtlich geworden. Bei vielen Wahlkampfslogans bin ich mir nicht sicher, ob sie von der CDU, der SPD oder den Grünen stammen. Und dann denke ich an 1983 zurück: Wie aufregend Wahl-Kampf mal war. Damals mit Heiner.

Frank Jöricke, geboren 1967 in Trier, ist Autor und Slampoet

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