Wieso eigentlich »Irma«? Nein, Exxon Mobil!
Alberto Acosta fordert, Hurrikans in Zukunft nach denen zu benennen, die für sie verantwortlich sind
Der Hurrikan »Irma«, der die Karibik und Florida heimgesucht hat, bringt uns erneut eine unbequeme Wahrheit in Erinnerung: Entgegen aller ausgeklügelter Reden der Macht und Dummheit ist der Klimawandel nicht zu verstecken. Immer gewaltigere und zerstörerische Naturereignisse erschüttern die Welt. Überschwemmungen, Dürren, extreme Kälte und Hitze sind wie die jüngsten Hurrikane längst alltägliche Nachrichten in allen Ecken und Enden der Welt. Der großen Mehrheit der Wissenschaftler zufolge sind diese Naturphänomene Folge der weltweit gestiegenen Temperaturen und extremen Klimaabweichungen. Und das ist erst der Anfang.
Die Vernunft sagt uns, dass diese Kette von Katastrophen die Position der Klimawandel-Leugner schwächen sollte. Doch ist das Thema nicht einfach. Die Macht stützt sich gewöhnlich nicht auf die Vernunft, umso schlimmer für uns, die wir uns eine Welt in Frieden und Brüderlichkeit vorstellen. Schon viel normaler ist es, dass die Vernunft im Antlitz und Dienste der Macht verkümmert. Hier denken wir an Positionen wie die von US-Präsident Donald Trump, für den der Klimawandel eine »Erfindung der Chinesen« ist. Hinter solchen Sichtweisen, die nicht selten in die Lächerlichkeit abrutschen, verstecken sich Zugeständnisse an mächtige Interessen.
Die Klimafrage auf globaler Ebene politisieren
Und in dieser perversen Welt, in der die Post-Wahrheit die Tochter des modernen Kapitalismus in Reinform ist, fehlt es dann auch nicht an »Wissenschaftlern« die andere Erklärungen zu finden meinen für diese Extrem-Naturereignisse. Es fehlen auch nicht solche, die von technologischen Lösungen überzeugt sind, um die Probleme zu überwinden. Und auch nicht diejenigen, die schon fleißig den Taschenrechner zücken, um die Gewinne auszurechnen, die durch den Wiederaufbau der Zerstörungen zu verdienen sind oder durch Bauten, um Schutz vor künftigen Klimawandelfolgen zu bieten.
Ich möchte hier nicht die wissenschaftliche Antwortsuche auf das Klimaproblem kleinschreiben, aber es ist Zeit, die Klimafrage auf globaler Ebene zu politisieren. Es reicht nicht aus, dass die großen Medien die Berichterstattung über Klimawandelfolgen einige Tage lang ausweiten. Tatsächlich schmücken sie ihr flüchtiges Interesse sogar noch mit saftigen Reportagen. Auch bringt es wenig, immer wieder die Nachricht zu wiederholen: »Wir wissen ja, was uns droht«. Man muss über die Oberflächlichkeit hinausgehen, und alle Zwischenverbindungen, die Gründe für den Klimawandel und seine Verantwortlichen beim Namen nennen. Denn es gibt sie!
Die Ursachen benennen
Zweifelsohne wird es neue Tragödien geben. Wir müssen uns vorbereiten, aber das reicht nicht! Wir müssen die Ursprünge und die Reichweite dieser komplexen Phänomene kennen, und gleichzeitig die Politiken dieser manifesten Krise diskutieren. Geredet werden muss auch über radikale Politik, um die Auswirkungen der neuen Krisen zu verhindern, wenigstens aber zu minimieren. Und vor allem müssen die Ursachen dieser Krisen transparent gemacht werden und mit ihren Folgen verbunden werden: ungebremster Extraktivismus, überbordender Konsumismus, eine unaufhaltsame Verschmutzung, Verschwendung, die sogar eingeplant ist, Subventionen für fossile Brennstoffe, Umweltrassismus, sozioökonomische Ungleichheiten und mehr. Wir merken gleichzeitig, dass die öffentlichen Haushaltsmittel zur Bewältigung der drohenden Lawinen nicht ausreichen und lächerlich klein sind im Vergleich zu den enormen, schädlichen und beleidigend hohen Ausgaben für Waffen und repressive Sicherheit, die wiederum soziale, politische und ökologische Schäden verursachen.
Nutzen wir die Gelegenheit um einige globale, tiefergehende Lösungen vorzuschlagen. Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um den Ausstoß von Treibhausgasen dramatisch zu senken. Das ist möglich, wenn der Konsum und der Abbau von immer mehr Erdöl, Kohle und Gas verringert wird. Es müssen Initiativen unterstützt werden, die einfordern, das Erdöl im Boden zu lassen, so wie in Ecuador das Öl im Yasuní-Nationalpark. Wir müssen unsere Städte vollständig neu überdenken und unsere Transportsysteme. Wir müssen das Land als unverzichtbarer Versorger für die Rohstoffe und Materialien, die für unsere Gesellschaften so wichtig sind, neu denken. Die Konsummuster müssen sich radikal verändern. Die gesamte Organisation der Gesellschaften kann nicht weiter gehen wie bisher, wo sehr kleine Gruppen über ihre Kapazitäten konsumieren, ja sogar über ihre Bedürfnisse hinaus. Während der Rest, fast die Gesamtheit der Weltbevölkerung versucht, die Privilegierten nachzuahmen und dabei zu einer dauerhaften Frustration verdammt bleibt.
Anthropozän überwinden
Die Dinge beim Namen zu nennen, zwingt uns auch so flache Konzepte und so ungewöhnliche Denkfallen wie die Idee vom Anthropozän zu überwinden. Lasst uns ohne Umschweife vom Kapitalozän reden. Wir verneinen nicht die Tatsache, dass die Menschheit die unglaublichen Störungen für die Erde verursacht, doch ist der Verantwortliche nicht die Menschheit an sich, sondern die Menschheit des Kapitalismus. Eine Zivilisation, die sowohl das Leben der Menschen wie die Natur ausbeutet, um die Macht zu ernähren, die wir unter dem Namen Kapital kennen. Wollen wir die Dinge so nennen, wie sie sind, dann sollten wir Hurrikane und Extremereignisse auch beim Namen ihrer Verursacher nennen: British Petroleum statt »Harvey«. Exxon Mobil statt »Irma«.
*Übersetzung: Benjamin Beutler
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