Wahlwerbung in Einzelgesprächen
Die mühevolle Kleinarbeit der LINKE-Spitzenkandidatin Kirsten Tackmann
Andrew Förster ist schon ein paar Minuten früher da. Er hat den Kleinbus mit dem Konterfei der Bundestagsabgeordneten Kirsten Tackmann (LINKE) am Markt von Wittstock/Dosse geparkt, den Infostand platziert und mit Wahlkampfmaterial bestückt, das er nun an Passanten verteilt. Mit dem Brillenputztuch lasse sich auch gut der Fernsehbildschirm sauber wischen, empfiehlt er einer älteren Dame.
Es sind nicht mehr viele Tage bis zur Bundestagswahl am 24. September. »Langsam steigt die Nervosität«, sagt Förster. Als Wahlkampfhelfer hat er eine Formel parat, warum die Bürger die LINKE ankreuzen sollten: »Wir sind die Partei der sozialen Gerechtigkeit. Okay, das sagen alle, aber wir sind das Original. Wir haben zuerst den gesetzlichen Mindestlohn verlangt.«
Zweiter Punkt: Frieden. »Wir haben noch nie Auslandseinsätzen der Bundeswehr zugestimmt.« Persönlich hätte Förster nichts dagegen, wenn ein Sanitätsbataillon bei einer Überschwemmung in Südostasien Katastrophenhilfe leistet. Doch Kampfeinsätzen würde die Linksfraktion niemals zustimmen, ist Förster überzeugt. »Denn dann würden 30 Prozent der Genossen aus der Partei austreten - ich auch.«
Für Kirsten Tackmanns Abstimmungsverhalten legt der gebürtige Hesse, den es über die Zwischenstation Berlin-Kreuzberg in den Nordwesten Brandenburgs verschlagen hat, seine Hand ins Feuer. Sie werde auch in Zukunft Auslandseinsätze der Bundeswehr ablehnen, versichert er. In diesem Moment stößt die Abgeordnete dazu und bestätigt: »So ist es.« Tackmann hat sich ein paar Minuten verspätet. Sie musste sich schon wieder mit Wahlprüfsteinen befassen. Ungefähr 50 Verbände und Vereine haben ihr und der politischen Konkurrenz Fragen zu den verschiedensten Themenkomplexen zugeleitet.
Die Tierärztin sitzt seit 2005 im Parlament, bestreitet als Kandidatin nun schon ihren vierten Bundestagswahlkampf. Aber jetzt als Spitzenkandidatin. Erstmals steht sie in Brandenburg auf Platz eins der Landesliste. Das bringt es mit sich, dass sie mehr Termine außerhalb ihres Wahlkreises hat, der aus den Landkreisen Prignitz und Ostprignitz-Ruppin sowie einem Stückchen vom Havelland besteht. Als Agrarexpertin ist sie sogar bundesweit gefordert.
Es gibt wieder viele Gesprächsrunden. Zur Bundestagswahl 2013 schien es, als sei das klassische Wählerforum aus der Mode gekommen. »Ich hatte damals kein einziges«, erinnert sich Tackmann. Doch nun ist das Format wieder da. Wahlen lassen sich damit jedoch nicht gewinnen, meint Tackmann. Denn sie hat den Eindruck, dass dort oft nur Leute hingehen, die schon ziemlich festgelegt sind. Die Unentschiedenen müssen auf der Straße angesprochen und einzeln überzeugt werden. Auf den Marktplätzen von Neuruppin, Kyritz, Pritzwalk und Wittstock ist Tackmann sowieso jeweils einmal im Monat präsent, nicht nur im Wahlkampf. Sie hält dort Sprechstunden unter freiem Himmel ab, sucht den Kontakt zu den Bürgern, damit die Menschen Einfluss auf die Politik nehmen können.
Viele glauben, die Oppositionspartei LINKE könne nichts bewirken. Da ist Tackmann jedoch anderer Ansicht. Bündnisse schmieden, lautet ihre Devise. Beim jahrelangen Kampf für eine friedliche Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide habe dies funktioniert. Am Ende lenkte das Verteidigungsministerium ein und verzichtete auf das Bombodrom, in dem die Bundeswehr Tiefflüge trainieren und Bombenabwürfe üben wollte.
Mit guten Argumente zog die Tierärztin schon so einige Menschen auf ihre Seite. Landwirte, der vorher nicht im Traum darauf gekommen wären, die LINKE anzukreuzen, erkannten verblüfft, dass ihnen die agrarpolitischen Vorstellungen dieser Partei am meisten zusagen. Überprüfen lässt sich dies durch den Agrar-O-Mat, der so ähnlich programmiert ist wie der Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung, nur dass ausschließlich Fragen zur Agrarpolitik zu beantworten sind. Das Kunststück besteht aber darin, Bauern oder auch andere Bürger erst einmal mit den Positionen der Linkspartei bekannt zu machen.
Stolze 28,5 Prozent erzielte die LINKE bei der Bundestagswahl 2009 in Brandenburg. 2013 waren es nur 22,4 Prozent, und selbst dieser Wert scheint nun unerreichbar fern. Bloß 16 bis 18 Prozent verheißen die Umfragen. 20 Prozent plus X lautet das offizielle, im Moment sehr anspruchsvolle Wahlziel. Es ist keine angenehme Situation für die Spitzenkandidatin, dass sie im Vergleich zu 2013 ein Minus einkalkulieren muss. Sie verliert zwar nicht ihren Optimismus. »Schauen wir mal«, sagt sie. Doch die Situation ist schwierig. »Die zunehmende Entsolidarisierung in der Gesellschaft, die Vorurteile gegen Flüchtlinge und Langzeitarbeitslose, führen dazu, dass unser Motto ›Teilen macht Spaß‹ nicht gerade auf Gegenliebe stößt«, berichtet Tackmann. Wer Arbeit wolle, der finde auch eine, werde mittlerweile häufig gesagt - und dabei vergessen: Wer seit der Wende zu Hause sitze, drei Berufe erlernt habe und trotzdem immer wieder gesagt bekomme, er werde nicht gebraucht, der könne sich nun nicht mehr selbstbewusst um eine Stelle bewerben.
Das Wichtigste sei den Menschen in ihrem Wahlkreis eine Rente, von der man leben könne, erzählt die Abgeordnete. Neben der Rente ist die Braunkohle ein wichtiges Thema, wenngleich hier im Nordwesten Brandenburgs kein »überbordendes«, wie Tackmann sagt. Bei einigen Gelegenheiten musste sie beteuern, dass die LINKE die von Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) ins Spiel gebrachte Absenkung der Klimaschutzziele keineswegs akzeptiert habe. Von einer Senkung des CO2-Ausstoßes auf 55 bis 62 Prozent gegenüber dem Wert des Jahres 1990 ist die Rede. Im Koalitionsvertrag von SPD und LINKE stehen 72 Prozent. »Ich will so nah wie möglich an die 72 Prozent rankommen«, sagt Tackmann. »Ich will nicht diskutieren, warum es nicht geht. Ich will diskutieren, wie es doch gehen könnte.«
Die Asylpolitik spiele nicht mehr so eine große Rolle wie noch im vergangenen Jahr, registriert Wahlkampfhelfer Förster. »Das Flüchtlingsthema ist irgendwie durch.« Auf dem Markt in Wittstock geht es familiär zu. Der Gemüsehändler, dem Tackmann neulich einen Kaffee spendierte, revanchiert sich mit ein paar Schmorgurken. Eine Mutter schiebt ihren Kinderwagen vorbei und lächelt freundlich herüber.
Eine Altenpflegerin bleibt stehen und erzählt, sie verdiene 10,20 Euro die Stunde. Die LINKE würde sie höchstens ankreuzen, wenn diese ihr versprechen würde, den Stundenlohn für Pflegekräfte auf zwölf Euro anzuheben. »14 Euro steht in unserem Wahlprogramm«, entgegnet Paul Schmudlach, Kreisvorsitzender in Ostprignitz-Ruppin. Er ist sich aber nicht hundertprozentig sicher, zückt sein Mobiltelefon und überprüft seine Angabe im Internet. »14,50 Euro sogar«, korrigiert er sich. Die Frau schwankt. Sie stammt aus dem Westen. Die Leute sagen, die LINKE sei irgendwie noch die alte SED, gibt sie zu bedenken. Schmudlach schmunzelt: »Ich bin 1991 geboren.«
Schließlich stellt sich heraus, dass die Altenpflegerin ihre Entscheidung schon per Briefwahl getroffen hat. Die Erststimme gab sie der Satiretruppe »Die Partei«, die Zweitstimme der Kleinstpartei BGE, die mit einer einzigen Forderung antritt, der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Als die Frau von Schmudlach erfährt, die LINKE setze sich ebenfalls für ein bedingungslose Grundeinkommen ein, zeigt sie Interesse. Sie redet lange mit Tackmann. Als sie sich verabschiedet, wünscht sie viel Erfolg und verspricht, das nächste Mal die LINKE zu wählen. Die Abgeordnete lächelt. »Ich sage ja: Im Einzelgespräch gelingt es.«
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