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Von der Flügelfrau zur Führungsfigur
Sahra Wagenknecht erzählt aus ihrem Leben und von ihrem Selbstverständnis als Politikerin
Wer ist eigentlich Sahra Wagenknecht? »Eine unverbesserliche Kommunistin«, sagen die Scharfmacher von gestern. »Eine linksnationalistische Populistin«, pöbeln anonyme Tortenwerfer. »Eine schlagfertige Rednerin«, bescheinigen fleißige Talkshowgucker. »Eine gute Ökonomin«, betonen die Leser ihrer Fachbücher. »Eine gute Wahlkämpferin«, sagen innerparteiliche Gegner. Wer erfahren will, was für ein Mensch Sahra Wagenknecht ist und wie ihre heutige Rolle als führende Politikerin der Partei DIE LINKE in ihrer Lebensgeschichte, in ihrer Persönlichkeit begründet ist, dem sei das Buch »Couragiert gegen den Strom« empfohlen - ein Gesprächsband des Philosophen Florian Rötzer, Chefredakteur des Online-Magazins Telepolis.
Auf ihre Kindheit und Jugend in der DDR angesprochen, erfährt man von einem wenig anpassungswilligen Mädchen, das sich rasch in die Welt der großen Denker der Menschheitsgeschichte begibt. Goethes »Faust« ist für die Schülerin nicht einfach Pflichtlektüre, sondern eröffnet ihr den Weg in die philosophische Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit und zur Gesellschaftskritik. Im Gegeneinander von Faust und Mephisto lässt sie sich nicht von der verneinenden Weltsicht des Mephisto verlocken, sondern identifiziert sich mit dem Veränderungsdrang Fausts. Sie beschäftigt sich mit der Hegelschen Methodologie, an der sie schätzt, dass sie durch ihre differenzierte Dialektik dabei hilft, Einseitigkeiten zu vermeiden und auch den rationalen Kern in der Position des politisch Andersdenkenden anzuerkennen. Angesprochen auf ihr Verhältnis zur Kunst, entpuppt Wagenknecht sich als Skeptikerin gegenüber bestimmten Ausformungen moderner Malerei, aber auch als Freundin zeitgenössischer Kunstformen wie der Leipziger Schule.
Die junge Frau entwickelt Distanz gegenüber dem SED-Staat, dessen antiindividualistischen Drill sie nicht erträgt. Wegen der ihr zugeschriebenen politischen Unzuverlässigkeit darf sie nicht studieren, arbeitet aber zwischen Herbst 1988 und Februar 1990 »nahezu alle zentralen Werke der Weltphilosophie« durch. Ausgerechnet als sich das Ende der DDR abzeichnet und die Opportunisten aus der SED austreten, tritt sie demons-trativ in die (noch) führende Partei der DDR ein. Sahra Wagenknecht offenbart, dass sie anfangs durchaus eine Anhängerin Gorbatschows war, bevor sie dann - auch als Trotzreaktion auf den Opportunismus so vieler Zeitgenossen - nach außen hin zur DDR-Apologetin mutierte, die sogar die Mauer verteidigte. Wagenknecht bezeichnet dies gegenüber Rötzer aus heutiger Sicht als politisch großen »Blödsinn und natürlich auch politisch unreif«, betont aber, dass ihr Engagement in der Kommunistischen Plattform zu Beginn der 90er Jahre nicht durch diese eher oberflächliche DDR-Nostalgie zu erklären ist, sondern durch ein Kommunismusverständnis im Sinne von Rosa Luxemburg motiviert war.
In der Linkspartei ist Sahra Wagenknecht bekanntlich von der kommunistischen Flügelfrau zu einer zentralen Führungsfigur avanciert. Interessante Aspekte dieses Weges spricht Rötzer leider nicht an: Wie zum Beispiel bewertet Wagenknecht es heute, dass sie 2005 vor einer »auf Lafontaine und Gysi zugeschnittenen Partei« warnte und im PDS-Vorstand gegen die gemeinsame Kandidatur mit der WASG stimmte, den Parteineubildungsprozess dann aber entscheidend mitgestaltete und -prägte?
Sodann komm Rötzer auf aktuelle politische Fragen zu sprechen. Sahra Wagenknecht erklärt die Weiterentwicklung einiger politischer Positionen, zum Beispiel bezüglich der Notwendigkeit von Wettbewerb und Leistungsanreizen in der Wirtschaft, ohne dabei aber auch nur ansatzweise die politische Agenda des Kapitalismus zu übernehmen. Wichtig ist ihr, es nicht bei der Kritik an den herrschenden Verhältnissen zu belassen, sondern eine positive realistische Alternative anzubieten.
Im weiteren Gesprächsverlauf kommt sie immer wieder auf Positionen zu sprechen, die den Interviewer offensichtlich überraschen: So hält sie nichts von einer Schule ohne Noten, widerspricht der These, dass die Digitalisierung an sich als Teufelszeug abzulehnen sei, und nennt es illusionär, zu glauben, die Probleme der kapitalistischen Gesellschaftsordnung mit einem »bedingungslosen Grundeinkommen« beantworten zu können. Damit verabschiede »sich die Gesellschaft von ihrer Verantwortung, jedem Menschen die Chance zu geben, sich mit eigener Arbeit ein anständiges Einkommen zu verdienen«. Es könne nicht darum gehen, »Almosen zu verteilen und einen erheblichen Teil der Gesellschaft einfach abzuschreiben«.
Natürlich befragt Rötzer sie auch zu Möglichkeiten der politischen Mehrheitsbildung im Bundestag mit anderen Parteien. Hier insistiert sie darauf, dass der Kern linker Politik in der sozialen und der Verteilungsfrage besteht und die Verweigerung einer klaren Haltung hierin nicht durch liberale oder grüne Positionen hinsichtlich Homo-Ehe oder Einführung der Frauenquote für Aufsichtsräte kompensiert werden könne. Den Sozialdemokraten bescheinigt sie: »Wir sind das parteigewordene schlechte Gewissen der SPD, denn wir stehen für die Ziele, von denen die meisten SPD-Mitglieder und auch die Funktionäre wissen, dass das früher ihre Ziele waren.«
Rötzer thematisiert auch Persönliches, so den Vorwurf des Dolce Vita ihr und Lafontaine gegenüber, auch aus den eigenen Reihen. Sie bekennt sich dazu, gerne gut zu essen und zu trinken und reklamiert diesen Anspruch für alle Menschen, betont die Wichtigkeit einer gesunden Balance zwischen Arbeit und Muße und nennt es absurd, von Linken zu verlangen, in Askese zu leben. Sie erzählt von den Höhen und Tiefen des Miteinanders in der eigenen Partei, betont die »sehr gute Zusammenarbeit« mit Dietmar Bartsch, deutet aber auch Rivalitäten mit anderen an und bekennt sich sympathischerweise dazu, keine gute Netzwerkerin zu sein.
Ein lohnendes Buch für alle, die mehr über den Menschen und die Politikerin Sahra Wagenknecht wissen wollen.
Sahra Wagenknecht: Couragiert gegen den Strom. Über Goethe, die Macht und die Zukunft. Nachgefragt und aufgezeichnet von Florian Rötzer. Westend, 224 S., br., 18 €.
Unser Rezensent (Jg. 1972) ist katholischer Theologe und Stadtrat für DIE LINKE in Oldenburg.
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