Wutexzess bei Funzellicht

Tanz 3 in Tempelhof

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Tanz in Tempelhof, dritte Ausgabe: Nach zwei tagfüllenden Werbeveranstaltungen für die an der Volksbühne neuinstallierte Tanzfraktion nun also das Finale mit knapp einer Stunde Spieldauer. Wer unter dessen Titel »danse de nuit« am Donnerstag lyrische Träumereien unterm Sternenhimmel erwartet hatte, kam nicht auf seine Kosten. Denn der war zumindest am Premierenabend bedeckt. So funzelten die Leuchtlettern überm Eingang zum Zentralflughafen spärlich den weiten Vorplatz aus. Mehr Licht spendeten mobile Scheinwerfer, die sich Komparsen auf den Rücken geschnallt hatten. Wohin sie sich bewegten, dort ereignete sich etwas. Die Zuschauer eilten ihnen pflichtschuldig nach. Sechs Tänzer unter der Leitung von Boris Charmatz als ihr Choreograf und Mitakteur mischten sich fast unauffällig der Publikumstraube einzeln bei und begannen an verschiedenen Plätzen zeitgleich ihre Performance.

Bald erschloss sich, wovon sie handelt: dem blutigen Attentat auf die Redaktion des Pariser Satirejournals »Charlie Hebdo« im Januar 2015. Aufgeregt redend und gestikulierend rannten die Tänzer durch die Menge, durchbrachen den Kreis, der sich um jeden gebildet hatte, ließen den Zuschauern kaum Zeit, sich an einem Ort festzustehen. Dann vereinte sich das Sextett in laut skandierendem Chorus. Gesprochen wurden verknappte Texte des englischen Schriftstellers Tim Etchell, auch Teile aus einem Radiobeitrag, Texte von Charmatz sowie von weiteren Autoren.

Doch wie soll man Worte für das Unsägliche finden? Als wütende Sprachfontänen stoßen die Tänzer sie aus, während sie agieren, sich schmerzleugnend auf den plattenbelegten Steinboden werfen und darauf blitzschnell rollen, als sei ihr Untergrund weich gefedert. Keiner schont sich, weder verbal noch physisch, auch nicht vor Gewaltanwendung. Wie eine Flutwelle stürmen sie über den riesigen Platz, erstarren zeitweise in resignativem Wahn, um auffahrend erneut die Zuschauer vor sich herzutreiben. Eine Atmosphäre aus Angst und Verunsicherung stellt sich ein. Manche im Zusehpulk lachen, doch es ist wohl eher ein Lachen der Ratlosigkeit.

Bisweilen löschen die Träger ihre Scheinwerfer. Dann hallt nur noch das Wort, einzeln gesprochen oder in Gruppe, mehr oder weniger verständlich, als töne es aus der Mitte Namenloser, die gerade den Platz bevölkern. Dynamisch hat Charmatz seine Anklage gegen Terror ganz allgemein angelegt, choreografisch dicht, obwohl die Aktion sich wie eine Fackel aus Bewegung und Wort über die Ausdehnung des ganzen Halbrunds verbreitet. Als künstlerischer Kommentar zu politisch motivierten Anschlägen, zur gegenwärtigen Gefährdung unserer Welt, verdient Respekt, was Choreograf und Tänzer leisten. Zukünftig wird Charmatz zeigen müssen, ob und wie er dem renommierten Haus, das ihm am Rosa-Luxemburg-Platz mit zugefallen ist, ein Repertoire verschaffen will, über den kurzatmigen Ereignischarakter des ersten Monats hinaus. Der Exposition hat funktioniert, jetzt geht es um die Durchführung.

Weitere Vorstellungen am 23. und 24. September

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