Merkel steht zur Aufnahme der Flüchtlinge
Gutachten lässt Urteil zu Rechtslage 2015 offen
Berlin. Die Bundesregierung wendet sich gegen den Vorwurf, sie habe in der Flüchtlingskrise unrechtmäßig gehandelt oder das Parlament nicht ausreichend eingebunden. Ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages, über das die »Welt« berichtete, analysiert eben diese Fragen, kommt aber nicht zu einem eindeutigen Schluss. Die Analyse stammt bereits von Mai 2017. Die Bundestagsjuristen stellen darin verschiedene Rechtsauffassungen gegenüber, ohne Position zu beziehen.
Regierungssprecher Steffen Seibert betonte, das Gutachten stelle am Ende eben nicht fest, dass eine Rechtsgrundlage gefehlt oder es an parlamentarischer Mitsprache gemangelt habe. Ein Sprecher des Innenressorts sagte, die Regierung habe die rechtlichen Grundlagen für ihre Entscheidung vielfach dargelegt. Im Gutachten wird darauf verwiesen, dass »das Vorliegen einer entsprechenden Anordnung des Bundesministeriums des Innern aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen« die Pflicht zur Einreiseverweigerung aus einem sicheren Drittstaat außer Kraft setzen kann. Auch auf die Rechtsauffassung einiger Juristen wird verwiesen, dass es nach EU-Recht eine Verpflichtung gebe, die Einreise von Schutzsuchenden zu gestatten, um in Deutschland eine Zuständigkeitsprüfung vornehmen zu können. Die »Welt« hatte das Rechtsgutachten so ausgelegt, als habe es eine Pflicht zur Zurückweisung der Flüchtlinge an der Grenze gegeben, über die die Regierung sich hinweggesetzt habe.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte Anfang September 2015 - angesichts chaotischer Zustände entlang der Balkanroute - entschieden, ohne strenge Kontrollen in großer Zahl Flüchtlinge nach Deutschland einreisen zu lassen. Die ohnehin hohen Asylbewerberzahlen gingen danach noch mal enorm nach oben. Merkels Entscheidung ist bis heute heftig umstritten.
Die Frage nach der Rechtsgrundlage der Entscheidung ist nicht neu. Auch in dem Gutachten vom Mai heißt es, die Ausführungen basierten auf bereits erstellten Gutachten zu diesem Thema. Die Bundestagsjuristen schreiben unter anderem, man »könne argumentieren«, dass eine so weitreichende Entscheidung der parlamentarischen Zustimmung bedurft hätte. »Die grundsätzlich plausible Pflicht des Gesetzgebers, wesentliche Entscheidungen selbst zu treffen, lässt sich im konkreten Fall allerdings nur schwer ermitteln.« Dann listen sie Argumente für beide Positionen auf. dpa/nd Kommentar Seite 2
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.