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Ost-Rentner planen Protest
Lücken bei der Rentenüberleitung sollen geschlossen werden
Reichsbahner, Bergmänner und in der DDR geschiedene Frauen - sie alle planen für das kommende Jahr erstmals gemeinsame Proteste in Berlin. Diese und weitere Gruppen ehemaliger DDR-Bürger sind in unterschiedlicher Form von Ungerechtigkeiten bei der Rente betroffen. Es sei »höchste Zeit«, diese Missstände zu beheben, sagte Albert Hänel von der »Solidargemeinschaft der Bergleute in der Braunkohlenveredlung« bei einer Podiumsdiskussion von »neues deutschland« in Leipzig. Inge Hanke vom Verein der in der DDR geschiedenen Frauen warnte die Politik davor, weiter auf eine »biologische Lösung« zu setzen.
Lücken bei der Überleitung von Rentenansprüchen aus der DDR in das bundesdeutsche System haben nicht zuletzt für die geschiedenen Frauen dramatische Folgen. Weil sie zeitweise verkürzt gearbeitet und Kinder betreut haben, erhalten sie äußerst geringe Renten. Eine günstige Regelung des DDR-Rentensystems wurde nicht übernommen; der seit 1977 in der Bundesrepublik geltende Versorgungsausgleich wird ihnen aber ebenfalls nicht gewährt.
Etwa die Hälfte der 300.000 Frauen lebt in Armut; viele müssen auch im Alter arbeiten, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Ursprünglich lag die Zahl der Betroffenen bei 800.000. Zahllose Klagen blieben ohne Erfolg. Ein UN-Ausschuss für Frauenrechte forderte die Bundesrepublik im März auf, einen Ausgleichsfonds einzurichten, um das »Unrecht« zu beseitigen.
Auch mehreren Berufsgruppen werden berechtigte Ansprüche vorenthalten. Die Bergleute in der Braunkohlenveredlung wurden in der DDR wegen der Gesundheitsgefahren ihrer Tätigkeit mit Kumpeln unter Tage gleichgestellt und erhielten eine höhere Rente. Diese von ihnen mitfinanzierte Anspruch wurde aber ab Januar 1997 gestrichen - ohne Begründung, sagt Hänel. Juristisch ließ sich das Problem nicht lösen; zudem scheiterten alle Versuche, eine Gesetzesänderung durchzusetzen.
Fälle wie diese beeinträchtigen das Vertrauen in Politik und Rechtsstaat. Die Bundesrepublik erfülle ihre »Fürsorgepflicht« für die Bergleute nicht, sagte Hänel: »Das ist niederschmetternd.« Von einem »Gefühl der Ungerechtigkeit und Benachteiligung« sprach Susanna Karawanskij, Ost-Koordinatorin in der Bundestagsfraktion der LINKEN. Sie warnte vor der Erwartung, das Problem werde sich mit der Zeit von allein erledigen: »Das Gefühl schreibt sich fort«, sagte sie. Im Sachsen-Monitor 2016 hatten 17 Prozent der Befragten erklärt, sie fühlten sich durch die Wiedervereinigung benachteiligt. Bei den 18- bis 29-Jährigen, die die DDR aus eigenem Erleben gar nicht kennen, lag der Anteil mit 26 Prozent indes noch deutlich höher.
Die sächsische SPD hatte Anfang 2017 einen Vorstoß unternommen, um die Ungerechtigkeit bei den Renten zu beheben. Ihre Idee eines »Gerechtigkeitsfonds« findet sich auch im Wahlprogramm der Partei zur Bundestagswahl. Die Betroffenen sollen dabei eine »abschließende Geldleistung« erhalten; ein mindestens ebenso wichtiges Anliegen sei es aber, »Respekt vor den Lebensleistungen im Osten« auszudrücken, sagte die Leipziger SPD-Bundestagsabgeordnete Daniela Kolbe. Sie räumte aber ein, dass für derlei ostdeutsche Themen in ihrer Partei »dicke Bretter gebohrt« werden müssten. Kolbe warb um Akzeptanz für diese teils als symbolische Geste angelegte Lösung. Sie glaube allerdings angesichts der fortgeschrittenen Zeit nicht mehr, dass sich alle Forderungen »zu 100 Prozent durchsetzen lassen«.
Etliche Betroffene sind skeptisch: »Das wäre uns zu wenig«, sagt Albert Hänel für die Bergleute. Sie wollen den Druck auf die Politik verstärken - auch durch Bündelung der Kräfte und Protest in der Bundeshauptstadt. Bei einer Konferenz im kommenden Oktober in Leipzig soll dieser vorbereitet werden.
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