»Beschissene Zeiten«: Linkspartei stagniert

Fraktion im Bundestag schrumpft / Verluste im Osten / Erschrecken über AfD-Ergebnis / Höhn: Jetzt klare Kante gegen Rechts und Rassismus

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 6 Min.

Kaum prozentualer Zuwachs, Verluste im Osten, Verlust der Oppositionsführerschaft – bei der Linkspartei gab es am Sonntagabend nicht allzu viel Grund zum Jubeln. Zum Nachdenken dafür umso mehr. Wofür ironischer Weise auch die frühe Entscheidung der SPD sorgte, künftig in die Opposition zu gehen. Wird sie sich dort neu nach links ausrichten? Und welche Folgen hat das für die Linkspartei?

Die verfehlte ihr Ziel, erneut drittstärkste Kraft zu werden, deutlich – kommt aber laut der ersten Zahlen auf ihr bisher zweitbestes Ergebnis bei Bundestagswahlen überhaupt. Bei den absoluten Zahlen dürfte es sogar ein deutliches Plus geben, aber das zählt unter dem Strich wenig. Bestimmt waren die Reaktionen am Wahlabend allerdings vom massiven Rechtsruck und dem hohen Ergebnis für die AfD. Die sächsische Linkspolitikerin Jule Nagel sprach angesichts des Ergebnisses für die Rechtsradikalen von »Schockstarre«. Der Thüringer Landtagsabgeordnete Frank Kuschel fasste das Ergebnis in drei Stichpunkten zusammen: »Rechtsruck, Auferstehung des Neoliberalismus, Stagnation bei der Linkspartei«.

Parteichefin Katja Kipping sagte mit Blick auf die AfD, während sie die »die Erinnerung an den Holocaust tilgen will, bleiben wir dem Schwur von Buchenwald verpflichtet«. Es brauche nun »einen gesellschaftlichen Schub gegen das Weiterso und die Rechte«. Auch Berlins Kultursenator Klaus Lederer reagierte alarmiert auf das Erstarken der Rechtsradikalen. Dies sei eine »riesige Herausforderung«, so der LINKE-Politiker.

»Unsere Gesellschaft ist tief gespalten.« Lederer betonte zugleich, das stabile Abschneiden seiner Partei strafe all jene Lügen, die die Linkspartei und ihre Wähler für den Aufstieg der AfD mitverantwortlich machen wollten. Der Bundestagsabgeordnete Niema Movassat sagte, dies sei »ein grusliger Wahlabend. Eine große Katastrophe für Deutschland«.

Der Bundesschatzmeister der Linkspartei, Thomas Nord, suchte eine Erklärung für das starke Abschneiden der Rechtsradikalen im Kuschelkurs zwischen den Regierungsparteien. »Diesmal haben sich CDU /CSU und SPD selber asymmetrisch demobilisiert«, so Nord. »Dieser Erfolg wird die Demokratie hierzulande nachhaltig erschüttern.«

Was bedeutet eine Oppositions-SPD für die Linkspartei?

Zwei Fragen dürften in der internen Debatte nun ganz oben stehen – wie geht man mit einer so starken rechtsradikalen Oppositionskraft um, die bereits angekündigt hat, die etablierten Parteien »zu jagen«? Und wie reagiert die Linkspartei selbst auf die strategischen Herausforderungen, die sich aus dem Gang der SPD in die Opposition und den Verlusten im Osten ergeben?

Spitzenkandidat Dietmar Bartsch sagte, auch wenn es am rassistischen und rechtsradikalen Charakter der AfD keinen Zweifel gebe, müsse man »die demokratische Entscheidung akzeptieren«. Bartsch weiter: »Wir müssen deutlich machen, dass es einen anderen Kurs geben kann.« Parteichef Bernd Riexinger sagte, mit seiner Linken werde »die AfD den härtesten Widersacher haben, den sie sich vorstellen kann«. Das sei auch eine Frage der Schwerpunkte, die man setzt. »Wer die Rechte bekämpfen will, der muss auch die Politik der sozialen Spaltung konsequent bekämpfen«, so Riexinger. Ähnlich äußerte sich Kipping: Sie nannte den Einsatz der Linkspartei für soziale Gerechtigkeit »glaubwürdig. Weil wir diese Themen über Jahre bearbeitet haben«.

Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn sagte, die Linkspartei habe alles versucht, Wahlkampf gegen die AfD zu machen. Er wandte sich gegen den Eindruck, die AfD würde um dieselben Wählerschichten buhlen. Die Anhänger der Rechtspartei seien vor allem rassistisch und gegen das demokratische System eingestellt. Darauf gelte es nun gesellschaftliche Antworten zu finden. Höhn sagte mit Blick auf das Abschneiden seiner Partei, das Ergebnis sei »in einem schwierigen Umfeld« zustande gekommen. Man werde »in den nächsten vier Jahren im Parlament und auf der Straße klare Kante gegen Rechts und Rassismus zeigen«.

»Deutschland hat ein massives Problem mit Rassismus und Rechtsextremismus«, zog der Landesgeschäftsführer der NRW-Linkspartei, Sascha H. Wagner, am Sonntag Bilanz. Die AfD-Wähler hätten genau gewusst, wofür diese Partei stehe und sich bewusst für »Hass, Ausgrenzung, Hetze und Sozialabbau« ausgesprochen.

Lederer: Lassen uns die Agenda nicht von der AfD diktieren

Anders wurde am Wahlabend eine Äußerung von Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht interpretiert, die mit Blick auf das Flüchtlingsthema sagte, man habe »dort auch vielleicht bestimmte Probleme ausgeklammert, in der Sorge, dass man damit Ressentiments schürt«. Damit habe man es »am Ende« der AfD überlassen, »bestimmte Dinge anzusprechen, von denen die Menschen einfach erleben, dass sie so sind«.

Damit ist ein alter Streit angesprochen, in dem Wagenknecht bereits mehrfach dafür kritisiert worden war, in migrationspolitischen Fragen nicht die Linie ihrer Partei verfolgt zu haben. Kultursenator Lederer hielt denn auch umgehend dagegen: »Eine ernsthafte Linke kann einpacken, wenn sie sich die politische Agenda von 13,5-Prozent-Rechtsextremen diktieren lässt. Aber das tun wir nicht.«

Absturz im Osten auf rund 16 Prozent

Eine zweite Diskussion dürften die Ergebnisse im Osten auslösen, wo ersten Zahlen zufolge die AfD deutlich über 20 Prozent holte und damit hinter der CDU (26,5 Prozent) auf dem zweiten Platz landete. Das war bisher die Domäne der Linkspartei und früher der PDS. Nun haben die Genossen in den neuen Ländern und in Ostberlin nur noch 16,5 Prozent erzielt. Bei der Wahl 2013 waren es dort noch 22,7 Prozent, 2009 sogar noch 28,5 Prozent.

Nach Meinung von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow spielte bei der Wahlentscheidung auch eine Rolle, dass sich viele Ostdeutsche abgehängt fühlen. Im MDR sagte der Linkspolitiker, die Politik müsste darauf eine Antwort geben und deutlich machen, sie könne Lösungen bieten. Die AfD nannte er eine Mischung aus ungutem Gefühl und Politik im konservativen bis reaktionären Spektrum.

Progressives Lager vor der Neuformierung

Und was ist mit den Hoffnungen auf eine rot-rot-grüne Mehrheit, die zu Jahresbeginn auch angesichts des Höhenflugs der SPD aufgekeimt waren (und natürlich umgehend auch für die üblichen Gegenreaktionen in der Linkspartei sorgten)? Kipping verwies am Sonntag auf eine Situation hin, die gewissermaßen über den Ergebnissen der einzelnen Parteien schwebt: die gesellschaftliche Situation sei besorgniserregend. »Unterm Strich sind diese Wahlergebnisse Ausdruck einer Rechtsverschiebung. Das fortschrittliche Mitte-Links-Lager ist das erste Mal seit 1990 zusammen unter 40 Prozent«, so Kipping. Und was heißt das? »Wir müssen noch einmal darüber nachdenken, wie man darauf reagiert. Das fortschrittliche Lager muss sich neu formieren«, so Kipping.

In Bayern freute sich die Linkspartei derweil, die Fünf-Prozent-Marke geknackt zu haben. »Damit habe ich selber nicht gerechnet«, sagte Spitzenkandidat Klaus Ernst bei der Wahlparty in München. Laut einer Hochrechnung des Bayerischen Rundfunks kam die Linkspartei landesweit auf 6,6 Prozent der Stimmen, vor vier Jahren hatte man im Freistaat nur 3,8 Prozent erreicht.

Doch auch in Ernsts Freude mischte sich viel Sorge um das Gesamtergebnis. Der Schock, so der Gewerkschafter, über das Ergebnis der AfD überwiege. Die Thüringer Landes- und Fraktionsvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow fand dazu Worte frei nach Sartre: »Die Zeiten sind beschissen, aber es sind die unseren, machen wir was draus.« Mit Agenturen

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