Gefahr im Verzug

Angela Merkel ist angeknockt, meint Georg Fülberth. Doch sie ist innerparteilich alternativlos – vorerst zumindest

  • Georg Fülberth
  • Lesedauer: 4 Min.

Chapeau, SPD! Durch ihre Entscheidung, in die Opposition zu gehen, hat sie der Kanzlerin, von der sie in der Wahl klar besiegt wurde, im Nachhinein eine Niederlage beigebracht, die sie ernsthaft gefährden kann. Dass die Union Verluste erleiden werde, war absehbar. Sie sind in Angela Merkels Nachwahlkalkulationen wohl schon eingepreist gewesen. Die Kanzlerin konnte sich vorab ruhig zurücklehnen, da sie als nächste Regierungschefin schon feststand. Zwei Optionen schien sie zu haben: Fortsetzung der Großen Koalition oder Jamaika.

In beiden Fällen konnte sie nur gewinnen: Wäre die SPD der Versuchung erlegen, weiter mitregieren zu wollen, hätte die Kanzlerin eine handzahme Partnerin gehabt, die sie künftig noch kleiner machen konnte. Reizvoller wäre für sie wahrscheinlich eine schwarz-gelb-grüne Variante gewesen: die Krönung der schon von Heiner Geißler eingeleiteten Modernisierung der CDU. Auch dass die Einbußen höher als erwartet ausfielen, musste Merkels Kreise allein noch nicht stören. Doch dann kam die Absage der SPD. Jetzt hat die Kanzlerin nur noch eine Option, und damit können ihre drei denkbaren Partnerinnen – CSU, FDP, Grüne – stärkeren Druck auf sie ausüben.

Der Autor

Georg Fülberth hat von 1972 bis 2004 Politikwissenschaften an der Universität Marburg gelehrt.

In diesem Moment erst wurde sie als Wahlverliererin gehandelt. Die CDU mag nur Sieger(innen) an ihrer Spitze. Wer schwächelt, ist in der Vergangenheit zum Abschuss freigegeben worden. So erging es Konrad Adenauer, als er 1961 die absolute Mehrheit einbüßte: Zwei Jahre später musste er zurücktreten. Helmut Kohl wurde demontiert, nachdem die Union 1998 abgewählt worden war.
So weit ist es mit Merkel noch nicht. Dass sie innerparteilich alternativlos bleibt, macht die Situation für sie persönlich zwar vorerst bequem, aber ungemütlich für die CDU. In 16 Jahren Merkel ist ihr eine Führungsreserve und damit die Möglichkeit der Auswechselung der Spitzenfigur verloren gegangen. Alternativlosigkeit bedeutet Einschränkung – wenn nicht sogar Verlust von Politikfähigkeit.

Es kann noch schlimmer kommen. Im Oktober wird in Niedersachsen gewählt. Bisher sah es dort gut aus für die CDU. In Berlin wird es dann noch keine neue Regierung geben, höchstwahrscheinlich noch nicht einmal eine schwarz-grün-gelbe Vereinbarung. Und selbst wenn diese wider Erwarten schon zustande gekommen sein sollte, fehlt noch die angekündigte Urabstimmung bei der FDP und den Grünen. Es wird also eine Hängepartie geben, die der Kanzlerin als Zeichen von Schwäche angekreidet werden wird. Sollte sich im Ergebnis Stephan Weil (SPD) in Niedersachsen behaupten, wird es für sie eng werden, und ein Wiederaufstieg der SPD könnte früher beginnen, als nach ihrem Debakel vom 24. September erwartet werden konnte.

Die Achillesferse der Union befindet sich in Bayern. CSU-Chef Horst Seehofer hat stärker verloren als Merkel. Wie er bei der Landtagswahl im kommenden Jahr die AfD kleinhalten kann, ist derzeit unerfindlich, zumal die Taktik, die er bisher anwandte, sich als kontraproduktiv erwies: Er wollte klar machen, dass eine Dumpfbacken-Partei in Bayern überflüssig ist, weil ihre Positionen schon von seiner CSU besetzt seien. Das stimmt sogar – bereits seit Franz Josef Strauß. Seehofer übersah Folgendes: Diejenigen, denen er und seine Vorgänger nach dem Mund redeten, sind jetzt auf den Geschmack gekommen, dass eine andere Partei ihre Ressentiments noch besser bedienen kann als bisher die CSU.
Offenbar will Seehofer diesen verhängnisvollen Kurs bei Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition fortsetzen. Die Führung der Grünen wird sich absehbar nicht so weit verbiegen können, um ihm hier ausreichend entgegen zu kommen.

Die Perspektiven für Schwarz-Gelb-Grün sind also nicht rosig. Selbst wenn diese Koalition zustande kommen sollte, wird von ihr nicht der Erneuerungsimpuls ausgehen, den sich einige von ihr erhofft haben mögen. Gegner(innen) der Union sollten sich Schadenfreude jedoch verkneifen. Als die SPD seit Schröder niederging, stieg neben ihr die LINKE auf, die zum Verfassungsbogen gehört. Die Verluste von CDU und CSU dagegen stärken eine Partei mit einer offenen Flanke hin zu faschistischen Positionen.
Angela Merkel wollte die Liftung der Union vollenden. Solche modernen konservativ-liberalen Parteien gibt es seit jeher in Skandinavien und Großbritannien. Wenn dieses Modell im wirtschaftlich stärksten Land Europas misslingen sollte, könnte es gefährlich werden.

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