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Spezielles Produkt

ThyssenKrupp-Arbeiter fürchten um ihre Mitbestimmungsrechte im Zuge der Stahlfusion

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit der geplanten Fusion der Stahlgiganten ThyssenKrupp und Tata ist auch ein besonderes Modell der Einflussnahme und Einbindung von Arbeitnehmern und Gewerkschaften in Gefahr. »Was wird aus der Montanmitbestimmung, wenn demnächst die wichtigsten Entscheidungen in Amsterdam fallen, am Sitz der neuen Firma ThyssenKrupp Tata Steel?«, fragt Heiko Reese vom Düsseldorfer IG Metall-Stahlbüro. Zu den für die Beschäftigten existenziellen Fragen gehören die Zukunft von Standorten, Arbeitsplätzen und Betriebsrenten, so der Gewerkschafter.

Die 1951 vom Bundestag beschlossene Montanmitbestimmung ist ein spezielles Produkt der Nachkriegszeit und gilt als das älteste bundesdeutsche Mitbestimmungsgesetz. Das »Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie« räumte den Arbeitnehmervertretern in der Branche mehr Rechte und Einfluss ein als anderswo. Kernstück ist eine paritätische Zusammensetzung der Aufsichtsräte in den betroffenen AGs, GmbHs und bergrechtlichen Gesellschaften mit mindestens 1000 Beschäftigten. Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite stellen jeweils 50 Prozent der Mandate. Weiteres Kernstück ist die Position eines für Personalfragen zuständigen Arbeitsdirektors im Unternehmensvorstand, für dessen Ernennung die Stimmen der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat notwendig sind.

Somit geht die Montanmitbestimmung weiter als später beschlossene Mitbestimmungsmodelle für andere Branchen. Das Mitbestimmungsgesetz von 1976 sieht deutliche Einschränkungen der formalen Parität von Arbeitnehmer- und Kapitalvertretern im Aufsichtsrat vor. Demnach muss auf der Arbeitnehmerbank zwingend auch ein Vertreter der »leitenden Angestellten« sitzen. Bei einem Abstimmungspatt hat der Aufsichtsratsvorsitzende, in aller Regel ein Vertreter des Kapitals, ein doppeltes Stimmrecht. Faktisch kann der Arbeitsdirektor grundsätzlich auch gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter berufen werden.

Dass die Chefs von westdeutschen Steinkohlezechen und Stahlhütten ihren Arbeitern überhaupt solche Zugeständnisse machten, spricht nicht etwa für eine besonders soziale Ader - die Montanmitbestimmung ist ein Produkt von Klassenkämpfen ab 1945. Nachdem ein explosives Gemisch aus Faschismus, Militarismus und Kapitalismus zum Inferno des 2. Weltkriegs geführt hatte, war in der Arbeiterschaft die Forderung nach radikalem Neuanfang und Sozialisierung der Grundstoffindustrien tief verankert. Steinkohlebergbau und Stahlindustrie waren das entscheidende Rückgrat der Wirtschaft und die Belegschaften waren sich ihrer Macht bewusst. Unter dem Druck massiver Streiks fanden sich die Kohle- und Stahlbarone schließlich mit der Montanmitbestimmung ab - um »Schlimmeres«, sprich: eine Enteignung, zu verhindern. Die in etlichen Landesverfassungen vorgesehene Sozialisierung der Montanunternehmen wurde auf Druck der Besatzungsmächte verhindert. »In den Stahlwerken drängten die Betriebsräte, die im allgemeinen linker orientiert und weniger verantwortungsbewusst als die Gewerkschaften waren, das Management der Konzerneigentümer zu weitreichenden Zugeständnissen, von denen viele anarchistischer und unpraktikabler Natur waren«, schrieb der britische Kontrolloffizier William Harris-Burland in einem Bericht 1947. Wenn Arbeiter und Gewerkschaften »Anteil an der Verantwortung des Managements« bekämen, könne man damit auf lange Sicht »Arbeiterunruhen in der Industrie verhindern«, so Harris-Burland. In den Gewerkschaftsapparaten fand die Idee einer institutionellen Mitbestimmung als Instrument zur Dämpfung der Interessensgegensätze im Betrieb Unterstützung.

Durch die Montanmitbestimmung wurden im Laufe von Jahrzehnten viele Gewerkschafter und gewerkschafts- und SPD-nahe Führungskräfte zu Arbeitsdirektoren. So war ThyssenKrupps amtierender Arbeitsdirektor Oliver Burkhard von Ende 2007 bis September 2012 Bezirksleiter der nordrhein-westfälischen IG Metall. Der Saarländer Peter Hartz, Namensgeber der umstrittenen Arbeitsmarktgesetze der rot-grünen Bundesregierung, war vor seiner Zeit in der VW-Chefetage Arbeitsdirektor der Dillinger Hütte.

Gut organisierte Belegschaften konnten sich im Arbeitsalltag in Montanbetrieben spürbare Zugeständnisse und Errungenschaften sichern. Arbeitsplatzabbau wurde durch vielfältige Auffangmaßnahmen abgefedert, die oftmals einen freien Fall in die Armut verhinderten oder wenigstens bremsten. Allerdings konnte die Montanmitbestimmung nicht die Gesetze des Kapitalismus außer Kraft setzen und den massiven Verlust an Arbeitsplätzen in Bergbau und Stahlindustrie verhindern. Somit ist der Geltungsbereich der Montanmitbestimmung bereits geschrumpft. Die paritätische Besetzung des Aufsichtsrates zwischen Kapital und Arbeit wird zum Auslaufmodell. Heute fallen nur noch knapp 40 Stahlunternehmen mit weniger als 100 000 Beschäftigten voll und ganz unter das Montan-Gesetz.

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