Opposition ja - aber anders

Matthias Micus fehlt eine selbstbewusste und leidenschaftlich streitende Basis in der SPD

  • Matthias Micus
  • Lesedauer: 3 Min.

20,5 Prozent insgesamt, in den neuen Bundesländern mit nicht einmal mehr 15 Prozent sogar noch schlechter: Keine Frage, der neue Tiefststand der SPD bei einer Bundestagswahl wirft grundsätzliche Fragen auf. Darunter die nach ihrer künftigen Rolle im Bundestag, die Frage von Opposition oder Regierung.

Nachdem in der SPD noch vor vier Jahren, bei der Neuauflage der Großen Koalition, die Losung des ehemaligen Parteivorsitzenden Franz Müntefering galt (»Opposition ist Mist«), erscheint die Beteiligung an einem Regierungsbündnis unter Führung der CDU jetzt als Quelle elementarer Übel. Der Juniorpartner einer Großen Koalition, heißt es, könne infolge koalitionsdisziplinärer Zwänge ein eigenständiges Profil nicht ausbilden - und würde nicht zuletzt deshalb eine solche, auch Elefantenhochzeit genannte, Verbindung am Ende zwangsläufig mit Stimmenverlusten bezahlen.

Historisch betrachtet ist das Unsinn. Die SPD, auch von 1966 bis 1969 kleinerer Partner einer schwarz-roten Regierung, ging daraus nicht geschwächt, sondern mit erstmals mehr als vierzig Prozent der bei einer Bundestagswahl abgegebenen Stimmen deutlich gestärkt hervor. Trotz leichter Verluste der Unionsparteien vereinten beide Partner 1969 insgesamt mehr Stimmenprozente auf sich als 1966, so dass seinerzeit auch die Ränder nicht gestärkt wurden - eine weitere vermeintliche Gesetzmäßigkeit Großer Koalitionen.

Und das sozialdemokratische Profil war in der Regierungszeit nicht diffuser, sondern im Gegenteil schärfer als in den vorangegangenen Oppositionsjahren. Zwischen 1966 und 1969 avancierte Brandt zum charismatischen Vorreiter einer neuen Ostpolitik, wodurch sich die SPD nun klarer von der CDU abgrenzte als in der ersten Hälfte der 1960er Jahre.

Letztlich gründete die sozialdemokratische Neuprofilierung in der Zeit der Großen Koalition freilich weniger auf der Einzelperson Brandt als vielmehr auf der selbstbewussten Einforderung sozialdemokratischer Konturen durch die Parteibasis.

Nach Jahren der Disziplinierung durch den autoritären Wehner begannen die sozialdemokratischen Fußtruppen ab 1966, gegen den Mitte-Kurs ihrer Parteiführung und die Verleugnung sozialdemokratischer Ideale und Symbole zu rebellieren. Plötzlich wurde auf Parteitagen wieder von Sozialismus gesprochen, wurden Vorgaben nicht mehr widerspruchslos hingenommen, verschaffte sich der linke Flügel lautstark Gehör.

Das Beispiel der Großen Koalition 1966 bis 1969 zeigt: Die Erneuerung der SPD muss aus der Partei selbst kommen. Entscheidend, so könnte man sagen, ist nicht die Oppositionsrolle im Parlament, sondern die Existenz einer schlagkräftigen Opposition in der Partei. Auch in Oppositionszeiten ist die Fraktion der Hort des tagespolitikbezogenen Pragmatismus; auch in Regierungsverantwortung kann sich eine Partei profilieren, kann ein Generalsekretär die programmatische Selbstvergewisserung aus der Parteizentrale heraus unterstützen.

Das Problem der SPD im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist jedoch, dass es ihr an einer selbstbewussten, orientierungsgewissen, leidenschaftlich streitenden Basis und vitalen Parteiflügeln mit weltanschaulichen Forderungen jenseits schnöder Personalpatronage gebricht. Die sozialdemokratische Basis ist apathisch, desillusioniert, leidenschaftslos, wie zuletzt der Wahlsonntag verdeutlichte. Zu heftigen Emotionen ist die Basis nicht mehr fähig, statt Wut oder Trotz kennzeichnete die »Wahlparty« im Willy-Brandt-Haus schicksalergebenes Gemurmel.

Neue Begeisterung kann die Parteiführung der Basis freilich nicht einimpfen, sie lässt sich nicht voluntaristisch erzeugen. Selbstbewusstsein braucht Selbstvergewisserung und eine alle Parteiebenen umfassende Diskussion sozialdemokratischer Ziele und Instrumente in veränderter Zeit. Die Parteiführung kann dergleichen Debatten nur koordinieren, anregen und durch eigene Beiträge bereichern. Sie muss Freiräume schaffen und zu kritischer Kontroverse ermutigen.

Mit Basta-Politik und deren Ausläufern - zu denen auch das Postulat gehört, demnächst ein neues Grundsatzprogramm beschließen zu wollen - erzeugt man Gehorsam, Gefolgschaft, Unselbstständigkeit. Überzeugungen, Selbstgewissheit, ja ein neues sozialdemokratisches Sendungsbewusstsein an der Parteibasis braucht offene Räume für unreglementierte Diskurse und perspektivische Entwürfe. Eben: Räume für eine Opposition in der Partei.

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