Alle Suppen ausverkauft

Danka betreibt eine Berghütte in einer nicht sonderlich touristischen Gegend im Osten der Slowakei. Für sie ist es schwer, über die Runden zu kommen.

  • Celestine Hassenfratz
  • Lesedauer: 8 Min.

Für Danka war es heute ein guter Tag. Leer gekratzt sind die großen gusseisernen Töpfe in ihrer Küche, die Kasse ist voll. Endlich sind wieder so viele Wanderer nach oben auf die Berghütte gekommen, dass Danka zumindest heute nicht darüber nachdenken wird, ob sich die Pacht für das alte Holzhaus diesen Monat lohnt. Seit sechs Jahren bewirtschaftet die Slowakin die Hütte. 1200 Höhenmeter müssen Wanderer nach oben steigen, um in Lajoska einzukehren.

Danka trägt ihre schwarzen Locken offen, eine blaue Fleecejacke, festes Schuhwerk und strenge Gesichtszüge. Sie sieht älter aus als die 46 Jahre, die sie dieses Jahr geworden ist. Sie lächelt selten. Das Geschäft hier oben in den Bergen ist hart, ihre Hände sind von der vielen Arbeit rissig. Als burschikos könnte man sie beschreiben. Vielleicht war sie das schon immer, vielleicht wurde sie es, weil sie sich immer wieder durchsetzen musste. Als Frau allein eine Berghütte zu bewirtschaften, ist auch in der Slowakei etwas Ungewöhnliches.

Der letzte Pächter der Wanderhütte sei verrückt geworden. Die Kälte, vor allem aber die Einsamkeit im Winter, wenn wochenlang niemand auf den Berg steigt, hätten ihn in den Wahnsinn getrieben, erzählt Adam. Der junge Mann ist gerade in die Gaststube eingekehrt. Der Kamin knistert, auf einem Bügel daneben hat er seinen verschwitzten Wollpulli aufgehängt. Neben ihm steht sein großer roter Wanderrucksack. Danka und Adam begrüßen sich herzlich mit einer Umarmung. Seit Jahren schon kommt der junge Mann aus der Stadt am Wochenende hier hoch in die Berge. Er bestellt Buchty, Hefeknödel gefüllt mit Pflaumenmus, garniert mit Schokoladensauce. In der Stube riecht es nach Kaminfeuer und gebratenen Zwiebeln. »Lajoska ist ein Stück Heimat«, sagt Adam. Die Sonne wirft ihren Schatten durch das Hüttenfenster. 12 Grad zeigt das Thermometer an der hölzernen Eingangstür. Die Blätter segeln bereits gelb und rotbraun von den Bäumen.

Adam lebt in der nächstgrößeren Stadt, Košice. Das Wochenende nutzt er, um dem städtischen Trubel zu entfliehen und Ruhe im slowakischen Herbstwald zu finden. Es ist einsam hier oben, auf dem Weg trifft man nicht viele Wanderer. Es ist bereits Herbst, nur noch wenige schöne Tage wird es in diesem Jahr geben.

Lajoska steht bereits seit über einhundert Jahren an ihrem Platz. Nach oben kommt nur, wer von Košice aus eine halbe Stunde mit dem Bus bis zur letzten Station in die Berge fährt und dann eineinhalb Stunden durch den Wald stapft. Danka selbst fährt jeden Freitagmorgen in ihrem schwarzen Pickup, mit ihren beiden Hündinnen, Emma und Lady, und ihrer 65-jährigen Mutter - sie hilft beim Kochen und gegen die Einsamkeit - auf einem Waldweg nach oben. Jedes Mal bepackt sie ihren Kofferraum mit Zwiebeln, Eiern, Kraut und Kartons voll tiefgefrorener Buchty, gefüllter oder ungefüllter Germknödel. Die schmecken hausgemacht, sind aber vom Großmarkt in der Stadt und - frisch zubereitet - fast wie selbst gemacht, verrät Danka.

Lajoska steht auf einer Lichtung am Hang, rechts der Hütte liegt ein kleiner Holzverschlag, ordentlich gestapelt warten die Scheite hier auf ihren Einsatz. Vor dem Eingang stehen große Holztische, im Sommer sitzen hier Wanderer beim Bier. Sicher, sie hatte Hoffnung, dass das Geschäft auf der Hütte besser läuft, als sie Lajoska vor sechs Jahren pachtete, erzählt Danka. Aber nun sind die Dinge eben so, wie sie sind. Am Besten verkaufen sich nicht Suppen und Buchty, sondern Erdnussriegel und Bier, des Wanderers schnelle Wegzehrung. Auch bleiben die Ausflügler selten über Nacht, so wie Adam und ich es heute tun. Genügend Platz bietet die Hütte zwar, es gibt sechs Mehrbettzimmer, ausgestattet mit einfachen Stockbetten. Jugendherbergscharme, die Bettdecken sind gesteppt, schwer und muffig, die alten Holzdielen im ersten Stock ächzen unter jedem Tritt. Eine Dusche gibt es nicht, aber kaltes klares Wasser, mit dem sich der Wanderschweiß vom Gesicht waschen lässt. Die Heizung ist nicht angestellt. Bei so wenig Gästen wie heute lohne es sich einfach nicht, erklärt Danka und drückt mir einen verrosteten Heizstrahler in die Hand. Der soll mein Zimmer heute Nacht beheizen. Wem es am Abend zu kalt ist, der kann sich in der Gaststube am Kamin wärmen. Hier trocknen Wanderer ihre Socken und Emma, Dankas stämmiger Bernersennenhund, seine Pfoten.

Es ist Abend geworden, die Zeit hier oben auf Lajoska vergeht rasch. Draußen brennt bereits ein Lagerfeuer, der Vollmond schiebt sich zwischen den Tannenwipfeln hervor. Adam sitzt am Feuer, wärmt Hände und Stockbrot und beginnt zu erzählen, dass er in der Stadt eine Ausbildung zum Zahntechniker macht. Er ist 21 Jahre alt und ehrgeizig in seinem Beruf. Er schätzt das Handwerk und die Herausforderung, aber auch die Stille und die Erholung in der Natur. Die Hütte Lajoska kennt er, seit er ein kleiner Junge ist. Damals sei er mit seinen Eltern hier hoch gekommen. Danka bläst blaue Rauchschwaden in die Luft. Sie steht an ihrem vergitterten Küchenfenster und schaut uns von innen zu. Im ersten Stock flackert ein Fernseher. Dankas Mutter hat sich dorthin zurückgezogen, sie genießt ihren Feierabend und das Unterhaltungsprogramm. »Es ist ein einfaches Leben, das wir hier führen«, sagt Adam. Aber ein zufriedenes, fügt er hinzu.

Das Leben hier im Osten der Slowakei ist hart. Traditionell ist gerade dieser Landstrich von hoher Arbeitslosigkeit betroffen. Fast 16 Prozent der Bevölkerung Košices sind ohne Job. Mit 240 000 Einwohnern ist die Stadt, die auf Deutsch Kaschau heißt, nach Bratislava die zweitgrößte Stadt der Slowakei. Wer einen Job hat, ist froh, das ist auch Danka. Früher hat sie als Köchin in einem Restaurant gearbeitet, dort hat sie wenig verdient und für andere geschuftet. Hier in Lajoska kann sie zumindest so wirtschaften, wie sie es möchte. Nur lohnt es sich leider selten so wie heute. Die Suppen und Buchty sind günstig, zwei Euro fünfzig. Für die Übernachtung fallen acht Euro an, drei Euro für das große Eierfrühstück. Leisten können sich das hier in der Region dennoch wenige.

Als es 22 Uhr wird, bittet uns Danka nach drinnen. Sie will die Tür absperren, man wisse ja nie, selbst hier oben, lächelt sie entschuldigend. Wir ziehen uns in die Gaststube zurück. Hier sitzen Katharina und ihr Freund eingesunken auf einem der Sofas. Katharina hilft Danka manchmal am Wochenende in der Küche. Beim Schneiden und Kochen, Servieren und Spülen. Sie fragt, woher ich komme, und wird euphorisch, als sie erfährt, dass ich aus Deutschland bin. In fast akzentfreiem Deutsch beginnt sie zu erzählen, dass sie in der Nähe von Frankfurt als Altenpflegerin gearbeitet hat. Sechs Jahre lang, jeden Monat hat sie ihr Geld in die Slowakei geschickt. Ihre Tochter blieb damals bei der Großmutter zurück, sie ist jetzt schon 18 Jahre alt und bat ihre Mutter, endlich wieder nach Hause zu kommen. Vor drei Jahren kam Katharina zurück. Seitdem, sagt sie, ist ihr Leben traurig. Gerade einmal 35 Jahre alt ist sie, ihre Wangen sind gerötet, das blonde Haar fahl, ihre Augen liegen tief in den Höhlen. Ihr Freund, stämmige Statur, kaum Haare, riesige fleischige Hände, bietet mir unterdessen Borovička an. Nein, nein, mindestens einen müsse ich schon trinken, das gehöre zum Gespräch und zur Gastfreundschaft dazu, versichert mir Katharina auf mein Abwinken hin. In Deutschland sei das Leben für sie besser gewesen, weniger Sorgen, weniger Alkohol. Sie hoffe so sehr, wieder zurückgehen zu können. Ihre Stimme ist schon ein wenig eingetrübt vom Schnaps. Der stämmige Freund greift ihre zarte Hand und legt sie in die seine. Sie liebe ihn nicht, erzählt sie mir und betont, er spreche kein Deutsch, er spreche nur Slowakisch, überhaupt sei nicht viel mit ihm anzufangen. Aber in der Nacht halte er sie warm und das sei schließlich besser als nichts, fügt sie entschuldigend hinzu. Eine Weile sitzen wir so noch zusammen, dann verabschiedet sich Katharina mit einem traurigen Lächeln in die Nacht. Ihre Worte klingen im knisternden Kaminfeuer noch lange nach.

Am nächsten Morgen beschließe ich, noch eine weitere Nacht auf Lajoska zu bleiben. Die Ruhe hier oben, die Stille der Berge, die Sanftheit des Herbstes, das kalte Wasser, es tut gut. Am Sonntagabend, die meisten Wanderer sind längst zurück in ihren Stadtwohnungen, bietet Danka mir an, in ihrem alten Landrover mit zurück nach Košice zu fahren. Sie sperrt die schwere Holztür von Lajoska zu. Ein kleines Glöckchen bimmelt über der Schwelle zum Abschied. Ich nehme auf der Rückbank Platz, auch Katharina, ihr Freund, die Hunde Emma und Lady quetschen sich mit auf die drei Sitze. Dankas Mutter ist vorne unter riesigen Tüten und Kartons eingegraben. Geschickt lenkt Danka das große Auto den schmalen Waldweg hinab. Für sie ist es Routine. Katharina hat auf dem Schoß ihres Freundes Platz genommen, sie kichert ein wenig, wirkt gelöster als am Vortag. Emma, der großen Bernersennenhündin, wird schlecht, sie versucht sich an mir vorbei aus dem Fenster zu drücken, um etwas frische Luft abzubekommen. Ich sehe Danka im Rückspiegel ein wenig lächeln, es war ein gutes Wochenende für sie. Es ist erst Herbst, zum Winter sind es noch einige Wochen hin. Die Hoffnung, dass sich diese Saison doch noch lohnen wird, hat sie noch nicht aufgegeben.

Der Text ist Teil eines Reisetagebuchs der Autorin. Celestine Hassenfratz: Ostwärts - Reisegeschichten aus Osteuropa, Books on Demand, br., 76 S., 6,99€.

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