Brecht aber musste wieder kritteln
Vor 70 Jahren hatte ein besonderer Film Premiere: »Ehe im Schatten« - ein Meisterwerk der DEFA.
Die DEFA hatte Verhandlungen mit allen vier Besatzungsmächten geführt, um zu erreichen, dass ihr neuer antifaschistischer Film gleichzeitig in allen vier Sektoren Berlins gezeigt werde. Die Militäradministrationen zeigten Entgegenkommen. Und so erlebte denn auch »Ehe im Schatten« am 3. Oktober 1947 zeitgleich im Filmtheater Friedrichshain im sowjetischen Sektor, im Kino Cosima im US-amerikanischen Sektor Friedenau, im Filmtheater Kurbel in Charlottenburg, also im britischer Sektor, sowie im Primus Palast am Gesundbrunnen, wo die Franzosen bestimmten, seine Uraufführung.
Der Film ist nach Hans Schweikarts Novelle »Es wird schon nicht so schlimm« unter der Regie von Kurt Maetzig gedreht worden und behandelt das tragische Schicksal des Berliner Schauspielerehepaars Meta und Joachim Gottschalk, das wie ein großer Teil der bürgerlichen Intelligenz die faschistische Gefahr zunächst unterschätzte. Joachim Gottschalk, ein gefeierter Ufa-Star, lehnt es ab, sich von seiner jüdischen Frau scheiden zu lassen, mit der er Abend für Abend auf der Bühne steht. Er trotzt allen Korrumpierungsversuchen der Nazis. Seine Frau verzichtet auf die ihr noch mögliche Flucht ins Ausland, weil sie Repressalien gegen ihren Mann befürchtet. Nach jahrelangem, sich ständig verstärkendem Druck scheidet das Künstlerehepaar von eigener Hand aus dem Leben. Nur wenige Prominente wagten es, an der Beisetzung der Gottschalks teilzunehmen. Zu ihnen gehörten die Schauspieler Brigitte Horney, Gustav Knuth und René Deltgen.
Maetzig, Mitgründer der DEFA, hatte von Schweikart, der damals Intendant der Münchner Kammerspiele war, Erinnerungen an das Ende des Schauspielerehepaars Gottschalk zugeschickt bekommen. Schweikart war mit den Gottschalks befreundet gewesen. Maetzig war erschüttert. Es kamen bei ihm sehr viele Dinge »zum Klingen«, wie er schrieb, die er selbst aus Freundes- und Verwandtenkreisen kannte. Seine eigene Mutter ist bei der Flucht vor der Gestapo umgekommen. Im »schrecklich kalten Winter« 1946/47 wollte Maetzig eine Art Zeichen setzen. Es sollte »ein Gedenken sein und ein Mahnmal, ein Ruf, ein Appell an das Gewissen, es nicht mehr zuzulassen, weiter so im Unpolitischen dahinzuleben«.
Maetzig hatte noch nie Filmregie geführt und noch nie ein Filmdrehbuch geschrieben. Aber er musste sich einfach hinsetzen und schreiben. Und er drehte den Film, so gut er es vermochte. Wie er selbst später einschätzte, war er in vielem noch ganz befangen in der Sichtweise von Filmen aus vergangenen Zeiten. Die ungeheure Botschaft, die er durch diesen Film weitertragen wollte, war neu und schockierend für das damalige Publikum. Die Machart war aber konventionell und nach Maetzigs eigenem Urteil dem Stoff nicht adäquat. Aber das erleichterte wahrscheinlich die Aufnahme durch das Publikum. Der Film war mit Ilse Steppat und Paul Klinger in den Hauptrollen hervorragend besetzt. Dennoch gab es auch kritische Stimmen. So äußerte Bert Brecht 1948 nach seiner Rückkehr aus der Emigration: »Was für ein schrecklicher Kitsch.« Doch beim Publikum kam der Film an, anders als kurze Zeit später Arthur Brauners »Morituri«. Die »Tägliche Rundschau« berichtete über die Premiere in Friedrichshain: »Das Publikum verharrte lange in schweigender Ergriffenheit, nachdem am Schluss in ein kahles, trostloses Friedhofsbild die Widmung des Werkes an den toten Schauspieler Joachim Gottschalk und alle seine Mitopfer eingeblendet war. Dann löste sich herzlicher, ehrlicher Beifall.« Allein beim ersten Durchlauf hatte der Film in der sowjetischen Besatzungszone über zehn Millionen Zuschauer.
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