- Politik
- Carme Forcadell im Interview
Katalonien wird gewinnen
Parlamentspräsidentin Carme Forcadell über das Recht auf Entscheidung und das Unabhängigkeitsreferendum
Wird am Sonntag in Katalonien trotz der Drohungen der spanischen Regierung, ein Referendum mit allen Mitteln zu verhindern, die Abstimmung stattfinden?
Ja, es wird ein Referendum geben, geöffnete Wahllokale, Stimmzettel und Wahlurnen. Vor allem wird es lange Schlangen geben, weil die Menschen frei über ihre Zukunft abstimmen wollen.
Haben wir es mit einem »Aufruhr« zu tun?
Der spanische Generalstaatsanwalt José Manuel Maza spricht sogar schon von »Aufstand«. Gegen die 14 Beamten, die kürzlich bei Razzien in Ministerien festgenommen wurden, wird wegen »Aufruhr« ermittelt und eine Richterin am Nationalen Gerichtshof ermittelt auch unter diesem Vorwurf rund um die riesigen Gegendemonstrationen und ihre Veranstalter.
Carme Forcadell gehört der republikanischen Linken ERC an. Als Präsidentin der 2012 gegründeten zivilen Katalanischen Nationalversammlung (ANC) war sie für Massenmobilisierungen für die Unabhängigkeit Kataloniens verantwortlich. Bei den Wahlen im September 2015 kandidierte sie auf der lagerübergreifenden Liste »Junts pel Sí« (Gemeinsam für das Ja), die die Unabhängigkeit von Spanien anstrebt. Sie wurde 2015 Präsidentin des katalanischen Parlaments und wird von Haftstrafen bedroht, weil sie Gesetzesdebatten über das Plebiszit zugelassen hat. Mit ihr sprach für »nd« Ralf Streck.
Zu Recht?
Es ist ein Skandal, dass von einem Aufruhrdelikt gesprochen wird. Das ist die Strategie von einigen Sektoren im spanischen Staat, der ein Bild von Chaos und Gewalt in Katalonien vermitteln will, das keinesfalls der Realität entspricht. Die Mobilisierungen der Bevölkerung in Katalonien waren stets friedlich, da die katalanische Gesellschaft gegen jede Art von Gewalt ist. Wir sprechen von einem Land mit 7,5 Millionen Einwohnern, in dem seit sechs Jahren immer wieder mehr als eine Million Menschen auf die Straßen gehen, ohne dass es Zwischenfälle gab.
Angesichts einer friedlichen, demokratischen und erwachsenen Gesellschaft, die in einem Referendum über ihre Zukunft frei entscheiden will, hat der Staat keinen Dialog angeboten: nur Anklagen, Festnahmen, Drohungen und die Verletzung von Grundrechten. Veranstaltungen wurden verboten - nicht nur in Katalonien -, die für das Selbstbestimmungsrecht eintreten, es sind mehr als 100 Webseiten gesperrt worden, in Redaktionen von Kommunikationsmedien und in Druckereien wurde eingedrungen, Korrespondenz abgefangen, gewählte Regierungsvertreter festgenommen und Mitglieder der Regierung und des Parlamentspräsidiums angeklagt. Trotz alledem: In Katalonien will ein sehr großer Teil der Gesellschaft abstimmen und das wird friedlich und demokratisch am 1. Oktober geschehen.
Wie erklären Sie das Festhalten am Referendum, das nach Ansicht der spanischen Regierung illegal ist und vom Verfassungsgericht ausgesetzt wurde?
Ein Referendum zur Selbstbestimmung ist legal, legitim und demokratisch. Die katalanische Regierung hat es per Gesetz angesetzt, das vom katalanischen Parlament beschlossen wurde. Es wird zudem von der überwiegenden Mehrheit der katalanischen Gesellschaft getragen. Das Recht auf Selbstbestimmung ist im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte als Menschenrecht anerkannt. Den UNO-Vertragstext hat auch der spanische Staat unterzeichnet und ratifiziert.
Darüber hinaus ist es auch nach spanischem Recht, keine Straftat ein Referendum durchzuführen. Die Frage lautet deshalb: Warum respektiert die spanische Regierung nicht das legitime Recht der Katalanen, setzt stattdessen auf Repression und verstößt gegen internationales Recht? Warum wird strafrechtlich etwas verfolgt, was im eigenen Strafrecht keine Straftat ist? Weil man unfähig ist, politisch mit politischen Konflikten umzugehen.
Glauben Sie, dass Polizei und die Zivilgarde die Abstimmung verhindern? Was wird die Regionalpolizei tun?
Ich meine, dass die Polizei, bei einem demokratischen Vorgang wie am Sonntag, die öffentliche Ordnung und die Sicherheit der Menschen gewährleisten sollte. Die katalanische Gesellschaft wird abstimmen: friedlich, ruhig und heiter.
Was wird nach dem 1. Oktober passieren?
Nach dem Referendum müssen die Ergebnisse umgesetzt werden. So sieht es das Referendumsgesetz vor und so hat es Präsident Carles Puigdemont erklärt. Gewinnt das Nein, wird es Neuwahlen in Katalonien geben. Siegt das Ja, wird die Unabhängigkeit erklärt, nachdem die definitiven Ergebnisse veröffentlicht wurden. Das haben Puigdemont und Außenamtschef Raül Romeva verteidigt.
Gehen Sie davon aus, dass die Europäische Union ein unabhängiges Katalonien anerkennt?
Ja, davon bin ich überzeugt. Die Geschichte zeigt, dass die EU und Europa stets von Pragmatismus geprägt sind. Katalonien erfüllt alle Voraussetzungen, um Teil der Europäischen Union zu sein. Hier operieren tausende multinationale Unternehmen, es ist das Tor für Güter, die aus Spanien in europäische Länder und in die Welt exportiert werden. Berücksichtigt man all diese Faktoren und analysiert die Reaktionen der EU auf neuartige Vorgänge, bin ich überzeugt davon, dass die beste Lösung für Katalonien, Spanien und Europa gefunden wird.
Sehen Sie sich in einem Jahr in einem unabhängigen Land oder in einem spanischen Gefängnis wegen Ungehorsam, Aufruhr, Aufstand ...?
Ich sehe mich in einem Land, das frei über seine Zukunft entschieden hat. Über jedes Ergebnis hinaus wird Katalonien gewinnen, denn es hat entschieden. Und ich nehme Ihre Anmerkung zum spanischen Staat auf, um deutlich zu machen, dass weder die Unabhängigkeitsbewegung noch die Referendumsbefürworter antispanisch eingestellt sind. Wenn Katalonien unabhängig wird, wird keine Mauer entstehen. Katalonien wird weiterhin enge kulturelle, soziale, sprachliche und wirtschaftliche Verbindungen mit Spanien haben.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.