Ein Musterdorf erfindet sich neu

Der kleine Ort Paretz zeigt, wie ländliche Entwicklung mit EU-Hilfe zum Erfolg führen kann

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 4 Min.

Nur auf den ersten Blick wirkt Paretz etwas verschlafen. Denn der 400 Einwohner zählende Flecken im Landkreis Havelland hat wachen Auges seine Zukunft geplant. Im April 2017 als selbstständiger Ortsteil von Ketzin/ Havel anerkannt, hat Paretz seit drei Wochen nun auch eine Ortsvorsteherin und kann so erstmals eigenständig für seine Stärken werben. Als naturnahes Ausflugs- und Ferienziel und als Ort, an dem Geschichte, Bildung und Kultur zueinander finden. Dass gerade das preußische Erbe dabei nicht verloren gegangen ist sondern nutzbar gemacht wird, haben Paretzer Bürger erreicht - mit viel öffentlicher Unterstützung und gefördert durch die Europäischen Union.

Das zentrale Instrument zur Förderung ländlicher Gebiete in der EU ist der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes (ELER). Brandenburgs ELER-Akteure trafen sich vor Wochen᠆frist zum jährlichen Erfahrungsaustausch als Gäste des Landkreises Havelland in der Kulturscheune Paretz. Der Veranstaltungsort, der als Vorzeigeprojekt schlechthin des Ortes für dessen Ambitionen steht, wurde in der EU-Förderperiode 2007 bis 2013 mit ELER-Hilfe saniert. 1,05 Millionen Euro hat das Vorhaben gekostet, davon waren 263 500 Euro Eigenmittel, 630 000 Euro kamen aus dem ELER-Budget, 157 000 Euro vom Land.

Ländliche Entwicklung sei vor allem »Hilfe zur Selbsthilfe für die Menschen in unseren Dörfern«, erklärte Agrarminister Jörg Vogelsänger (SPD) in Paretz. »Ein Hofladen ist nicht nur der Ort für Regionalprodukte, er kann auch Treffpunkt im Dorf werden. An einem schönen Ortsbild können sich alle erfreuen.« Andere dank ELER finanzierbare Projekte zielten direkt auf Existenzgründungen, auf die Verbesserung der touristischen Infrastruktur, den Erhalt ländlicher Baukultur, die Bewahrung alter Traditionen.

Im Zenit der aktuellen Förderperiode 2014 bis 2020 ist schon fast die Hälfte des für Brandenburg zur Verfügung stehenden ELER-Budgets bewilligt worden. Insgesamt stehen 1,05 Milliarden Euro ELER-Mittel im Gesamtzeitraum bis 2020 für die Förderung der märkischen Land- und Forstwirtschaft, den Umwelt- und Naturschutz sowie die Entwicklung der ländlichen Gebiete bereit.

Unternehmen und Einrichtungen - Paretz war unter anderem DDR-Verwaltungssitz der Vereinigung Volkseigener Betriebe (VVB) Tierzucht - hatten den Standort nach der Wende aufgegeben. Was blieb ist der Havelland-Tourismus zu Wasser und zu Land. Und dabei erweist sich die unscheinbare Bebauung des Dorfkerns für den Ort bei näherer Betrachtung als Glücksfall: Da, wo der Grauschleier jahrzehntelanger Vernachlässigung schon beseitigt ist, zeigt sich ein Kleinod märkischer Architekturgeschichte.

Preußens Kronprinz Friedrich Wilhelm III., der spätere König, und seine Gemahlin Luise hatten Paretz als Sommersitz auserkoren und den Baumeister David Gilly mit der Errichtung einer schlichten Schlossanlage betraut. Gilly hat das Schloss 1797/98 als eine Art königliches Landhaus erbaut und den gesamten Ort zu einem Musterdorf umgestaltet. Schloss, Ställe, Scheunen und Bauernhäuser entstanden im frühklassizistischen Stil neu. Die mittelalterliche Dorfkirche wurde umgebaut, Kirche und Schmiede erhielten neogotischen Fassaden. Als Musterdorf war Paretz einerseits Rückzugsort für die königliche Familie, andererseits auch als Guts mit tragfähiger Landwirtschaft geplant.

Für den Erhalt des denkmalgeschützten Dorfkerns, in der DDR halbherzig begonnen, setzt sich seit 1990 vor allem der Verein Historisches Paretz ein. Er hat sich besonders um die Rekonstruktion des nach 1945 bis zur Unkenntlichkeit umgebauten Schlosses verdient gemacht. Heute ist es im Bestand der Schlösserstiftung ein Besuchermagnet von Rang.

Seit 2009 gestaltet die Stiftung Paretz die Geschicke des Ortes mit, eine Treuhandstiftung der Breuninger Stiftung GmbH Stuttgart. Sie hat zwei denkmalgeschützte Bauten erworben und saniert, um sie einer nichtkommerziellen Nutzung zuzuführen, wie betont wird. Das ist neben der Kulturscheune, die Festsaal und Vereinstreff ist, ein Gehöft, das als Stiftungshaus ausgebaut wurde. Es dient der Stiftung Paretz und der Helga Breuninger Stiftung als Büro, bietet Seminarräume und Gästezimmer.

Bisher wurden in Paretz mit ELER-Hilfen in den beiden Förderperioden (2007 bis 2020) zwölf Projekt angeschoben und größtenteils schon vollendet. Ferienwohnungen, die Keramikwerkstatt und die Wirtschaft Storchenhof haben die touristische Infrastruktur verbessert. An der alten Schleuse wird der Campus der Paretz Akademie erweitert, die die Breuniger Stiftung als Ort für offene Kommunikation, Kreativität und Kompetenzerwerb entwickelt.

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