Frühkindliche Bildung

Bildungsrauschen

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Es ist nicht einfach zu verstehen, dass Kindertageseinrichtungen in Deutschland als Bildungseinrichtungen angesehen werden und dennoch unter die Kinder- und Jugendhilfe fallen. Auch eine Definition dessen, was unter frühkindlicher Bildung zu verstehen ist, scheint schwierig zu sein. beltz.de spricht von gemeinsamen Merkmalen der Frühpädagogik und hebt den Gedanken der »Verwirklichung von Selbsttätigkeit« innerhalb des Bildungsbegriffs hervor. Hierbei wird auf Wilhelm von Humboldt verwiesen, der unter Bildung die Auseinandersetzung mit der Welt verstand, durch die der Mensch seine Kräfte »verbessert und veredelt«. Um sich zu bilden, braucht der Mensch nach Humboldt also ein »Gegenüber«. Erziehung hingegen sei die »Reaktion« der Gesellschaft auf die dem Kind eigene Entwicklung.

Wenn nun von Bildung in der Frühpädagogik gesprochen wird, dann liegt bei Humboldt der Fokus auf dem Part der Entwicklung, der eben »nicht von außen erzeugt« werden könne, sondern vom Kind selbsttätig in Form der Aneignung der Welt vollzogen werde. Bildung integriere somit »Handeln und Denken, Wissenschaft und Kunst oder Können, Wissen und Ästhetik«. Entsprechend sei, so Humboldt, dieser Prozess der »Selbstgestaltung« ein in Permanenz auszubalancierender.

Ein ausführlicher Artikel zur Geschichte der Frühpädagogik der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb.de) geht der Unterteilung von Erziehung und Betreuung einerseits und Schule andererseits nach. Zu Beginn der Einrichtungen - als Gründungswelle werden die Jahre 1830 - 1840 genannt - sprach man mal von »Kinderschulen« oder »Verwahranstalten«; später wurden diese Begriffe von Friedrich Fröbel durch die Bezeichnung »Kindergarten« ersetzt. Die Einrichtung der Kindergärten entsprach eher einer Schule. Es gab »Bilder-, Schiefer- und Wandtafeln« sowie einen Stundenplan, der »Gesangs-, Sinnes-, Sprach-, Schreib-, Rechen- und Anschauungsübungen, aber auch körperlichen Übungen, Handarbeiten und Spielen« vorsah. Auch Unterrichtsinhalte und Didaktik standen in einem »durchdachten Verhältnis« von frühkindlicher und schulischer Bildung. Die durch Massenarmut entstandene »sozialfürsorgerische Bedürftigkeit« sowie die durch verstärkte Erwerbsarbeit von Arbeiterinnen »dramatische Betreuungssituation« führten schon damals zu einem steigenden Bedarf an frühkindlichen Betreuungseinrichtungen.

Andererseits entstand ein hoher Bildungsbedarf, der bei aufgeklärten Pädagogen zur Forderung führte, den »vorschulischen Bereich ins Volksbildungswesen einzugliedern«. Und zwar unabhängig der sozialen Bedürftigkeit. Diese Bewegung erfuhr einen jähen Dämpfer als in Preußen von 1851 bis 1860 ein Kindergartenverbot als Antwort auf die bürgerliche Revolution verhängt wurde. Infolge verstetigten sich die allgemeine Volksschule in staatlicher und Kindertageseinrichtungen in privater oder kirchlicher Trägerschaft. Letztere wurden mit dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz 1922 den Jugendämtern zugewiesen. Nach 1945 wurde das System der frühkindlichen Betreuung in der DDR flächendeckend ausgebaut. Erst um 1968 wurde in der BRD der Bildungsauftrag frühkindlicher Betreuung erneut diskutiert und ihm 2002 auf Beschluss der Kultusministerkonferenz Vorrang eingeräumt. Lena Tietgen

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