»Grobe Fehler« beim Umgang mit Gefährder Anis Amri

Sonderbeauftragter zu Anschlag vom Breitscheidplatz legt Abschlussbericht vor

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 3 Min.

14 Straftaten des Anis Amri fand der Sonderbeauftragter Bruno Jost in den verschiedenen Akten über den Berliner Attentäter. Zwei davon hätten zu seiner Verhaftung führen können. Amri war im Dezember 2016 gezielt mit einem Lkw auf einen Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz gefahren und tötete dabei zwölf Menschen. Zuvor war er von den Behörden als Gefährder geführt worden. Jost sollte im Auftrag des Senats untersuchen, warum es dennoch zum Attentat hatte kommen können.

In der Senatsverwaltung für Inneres stellte der frühere Bundesanwalt am Donnerstag seinen Abschlussbericht vor. Er ist nur ein Teil der Aufklärung des Anschlags vom Breitscheidplatz: Nachdem Jost seine Arbeit im April bereits aufgenommen hatte, wurde zudem in Sommer ein Untersuchungsausschuss eingesetzt. Parallel ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen das Landeskriminalamt, dem Manipulationen in den Ermittlungsakten zur Last gelegt werden. Einige Bereiche von Josts Bericht sind daher geschwärzt – aus Rücksicht auf die Personen, gegen die ermittelt wird, wie Jost sagte. Der Senat jedoch habe eine ungeschwärzte Version des Berichts erhalten.

Josts Resumee aus sechs Monaten Untersuchung des Falls: »Es gab grobe Fehler, die nicht hätten vorkommen dürfen.« Zudem stellt er fest: »Es gibt keine mathematische Gewissheit, dass man Amri hätte festnehmen können, aber es hätte eine reelle Chance gegeben.«
Einer der größten Fehler war für Jost, dass die Berliner Polizei Amri nur von April bis Juni 2016 observierte, obwohl sie Genehmigungen bis Oktober hatte.

Die Polizei hatte das Ende der Observierung damit begründet, dass sich durch die andauernde Telefonüberwachung keine Hinweise für den Ursprungsverdacht »Verabredung eines Verbrechens« ergeben hätten. Tatsächlich war bei der telefonischen Überwachung aber herausgekommen, dass Amri mittlerweile in den Drogenverkauf eingestiegen war. Das, so Jost, hätte Anlass für die Ermittler sein müssen, die Observation anzupassen.

Statt die Beschattung nachts einzustellen, hätte sie gerade dann einsetzen müssen und Amri an Orte verfolgen, an denen typischerweise mit Drogen gehandelt wird. Jost fand weiter heraus, dass Amri zwar keine Leistungen mehr als Asylsuchender erhielt, aber dennoch rund 1600 Euro an seine Mutter überweisen konnte. In Telefongesprächen mit ihr erklärte er außerdem, weitere 2500 Euro gespart zu haben. Der Drogenhandel hätte vermutlich ausgereicht, um Amri zu verhaften, so Jost.

Jost kritisierte in dem Zusammenhang auch, dass mehrmals eine Verlängerung der Observation beantragt worden sei, obwohl sie schon längst nicht mehr praktisch durchgeführt wurde. Eine solche »Beschlussvorratshaltung« sei aber rechtlich nicht zulässig.

In einem weiteren Fall hält Jost es für möglich, dass Amri zumindest vorübergehend hätte festgenommen werden können: Im Juli 2016 war er in Friedrichshafen in einem Bus auf dem Weg nach Zürich kontrolliert worden. Zwei gefälschte italienische Pässe wurden bei ihm gefunden, weshalb er verhört und für zwei Tage festgehalten wurde. »Die Landespolizei Baden-Württembergs ging aber nicht auf die Spezifika seiner Person ein. Das war ein großes Manko«, sagte Jost. Stattdessen hätten Polizisten aus Berlin und Nordrhein-Westfalen Amri »qualifiziert vernehmen« müssen. »Man hätte nur mal etwas flexibler sein müssen und den Hintern heben und sich nach Friedrichshafen bewegen.«

Innensenator Andreas Geisel (SPD) sagte vor der Vorstellung des Berichts in seinem Haus, es habe Fehler nicht nur in Berlin, sondern auch länderübergreifend und auf Bundesebene gegeben. Er forderte daher einerseits künftig eine bessere Vernetzung, andererseits einen Untersuchungsausschuss auf Bundesebene.

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