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Im Visier des Verfassungsschutzes
Die Antifaschistin Silvia Gingold kämpft gegen ihre Bespitzelung.
Die Schwachen kämpfen nicht, die Stärkeren kämpfen vielleicht eine Stunde lang, die noch stärker sind, kämpfen viele Jahre. Aber die Stärksten kämpfen ihr Leben lang. Diese sind unentbehrlich.« Dass die pensionierte hessische Lehrerin Silvia Gingold auch in ihrem Unruhestand im Sinne dieses Brecht-Zitats zu den Stärksten gehört, die sich gegen alle Widerstände ein Leben lang für ihre Überzeugungen einsetzen, wird in diesen Tagen erneut deutlich. Jüngst flatterte ihr ein Schreiben des Kasseler Verwaltungsgerichts mit einer höchst enttäuschenden Urteilsbegründung ins Haus.
Darin bestärken die Richter den hessischen Verfassungsschutz in seiner anhaltenden Bespitzelung und Denunziation Silvia Gingolds. Nach Auffassung des Geheimdienstes sei sie weiterhin eine im »linksextremistischen« Spektrum verkehrende Person. Es lägen »objektive Anhaltspunkte« für eine »Entfaltung verfassungsfeindlicher Aktivitäten« vor. Unter anderem wird ihr ein Redebeitrag bei einer Veranstaltung zum Thema »40 Jahre Berufsverbote in der BRD« zur Last gelegt. Mit Redeauftritten habe sie die gastgebende »verfassungsfeindliche« Organisation »nachhaltig unterstützt«, so das Gericht. Gingold will solche Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen und beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof gegen das Urteil in Revision gehen.
Dass sie auch in scheinbar hoffnungslosen Situationen nicht resigniert, gehört zur Familientradition. Die 1946 Geborene wuchs in Frankfurt am Main auf und wurde durch die Lebenserfahrungen ihrer Eltern geprägt. Beide waren Widerstandskämpfer und überlebten die NS-Diktatur nur knapp. Ihr 1916 geborener Vater Peter Gingold ging als Jugendlicher in die Gewerkschaftsjugend und den Kommunistischen Jugendverband. Vor der Hitler-Diktatur musste er 1933 mit seiner jüdischen Familie fliehen. In Frankreich schloss er sich der Résistance an und entkam mit einer spektakulären Flucht gerade so der Gestapo.
Im französischen Exil traf Peter 1936 seine spätere Ehefrau Ettie, die ebenfalls aus einer jüdischen Familie stammte und in der Résistance aktiv war. Beide engagierten sich nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur in Frankfurt als Kommunisten für ein anderes Deutschland. Vor allem Peter Gingold gab bis ins hohe Alter seine Lebenserfahrungen in Schulklassen, bei politischen Veranstaltungen und Kundgebungen an die Jüngeren weiter und war aktiv in der Friedensbewegung und in Bündnissen gegen alte und neue Nazis.
So wurde schon die junge Silvia zur politischen Aktivistin. Dass sie Französisch und Politik als Studienfächer wählte, dürfte angesichts der Exilerfahrungen ihrer Eltern kein Zufall sein. Doch die Laufbahn als Lehrerin im damals sozialdemokratisch regierten Hessen wurde ihr trotz guter Qualifikation aufgrund ihrer DKP-Mitgliedschaft zunächst verwehrt. Sie wurde prominentes Opfer des 1972 von Bund und Ländern initiierten »Radikalenerlasses«, mit dem zahlreiche Mitglieder linker Organisationen als vorgebliche Verfassungsfeinde vom Staatsdienst ausgeschlossen wurden.
Zu ihrem geheimdienstlich zusammengetragenen »Sündenregister« gehörten auch Demos gegen den Vietnam-Krieg und Reisen in die DDR. 1975 wurde sie aus dem Schuldienst entlassen. Dagegen kämpfte sie mit vielen anderen. Das internationale Echo sorgte mit dafür, dass »Le Berufsverbot« im französischen Sprachraum zum geläufigen Begriff wurde.
Der Druck zeigte Wirkung. 1976 kehrte Silvia Gingold in den Schuldienst zurück, wurde jedoch im Gegensatz zu den meisten Nachwuchspädagogen nie Beamtin. Sie ging unbeirrt ihren Weg, war an der Gesamtschule im nordhessischen Spangenberg eine geschätzte Lehrerin mit guten fachlichen Beurteilungen. Als engagierte Interessenvertreterin wurde sie in den Personalrat und zur Kreisvorsitzenden der Bildungsgewerkschaft GEW gewählt.
Dass sie im Rahmen einer Vortragsreise durch Bayern Passagen aus der Autobiografie ihres Vaters vortrug, missfiel den Schlapphüten.
Aus deren Sicht ist die für die Veranstaltungen federführende Organisation Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistischen (VVN-BdA) »linksextremistisch beeinflusst«. Für Gingold ist es »skandalös, wenn meine VVN-Aktivitäten herangezogen werden«. Schließlich gehörte ihr Vater zu den VVN-Mitbegründern in Hessen. Sein Motto »Nie aufgeben« hat sie verinnerlicht. Dass mit dem hessischen Verfassungsschutz ausgerechnet die Behörde, die im Umgang mit der Neonaziterrorbande NSU so grandios versagt hat, ihr antifaschistisches Engagement bespitzelt, wird sie nie auf sich sitzen lassen. »Ich bin im Geist des Widerstandes aufgewachsen, Unrecht nicht hinzunehmen, sondern sich aktiv dagegen zu wehren«, bekennt sie.
Dieser Kampf gegen eine als »Staat im Staat« wirkende Verfassungsschutzbehörde, die offenbar viel zu vertuschen hat, erfordert einen langen Atem. Den erhält sich Silvia Gingold auch mit sportlichen, kulturellen und musikalischen Aktivitäten. Langjährige Weggefährten schätzen sie als nachdenkliche, standhafte, unermüdliche und überzeugend wirkende Zeitgenossin. Dass sie in ihrem Wohnumfeld verwurzelt ist, zeigt auch die Anteilnahme von Nachbarn, die sie vor wenigen Wochen zum Verhandlungstermin beim Kasseler Verwaltungsgericht begleiteten.
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