Nach der Gewalt ist vor dem Spiel

Nach den Angriffen auf Leipziger Fans bleibt Dortmund vor dem Wiedersehen seltsam stumm

  • Ullrich Kroemer
  • Lesedauer: 4 Min.

In einer unscheinbaren Nebenstraße mit Kiezcharme zwischen Innenstadt und Stadion liegt der Laden des Fanprojekts Dortmund. Am Freitag, einen Tag vor dem Bundesliga-Spitzenspiel zwischen Borussia Dortmund und RasenBallsport Leipzig, ist es hier friedlich. Thilo Danielsmeyer, Leiter des Fanprojektes, schließt den Laden auf, wo sonst der harte Kern der Fanszene eine Anlaufstelle hat und wo Sozialarbeit auch mit Problemfans stattfindet. Der urige Raum ist übervoll mit BVB-Devotionalien, die von 25 Jahren Fanarbeit erzählen. So lange ist Danielsmeyer, eigentlich Sportlehrer, auch schon dabei.

Der 59-Jährige ist der wohl profundeste Kenner der Dortmunder Ultrakultur. Er kann darüber Auskunft geben, wie die Szene die Ausschreitungen vom 4. Februar reflektiert und wie sich die Einstellung zu RB Leipzig entwickelt hat. Bereits nach dem Gewaltexzess hatte er sich überregional prägnant geäußert und tut das auch vor diesem Spiel. »Das war asozial, Vollchaoten und Trittbrettfahrer haben sich unmöglich benommen - nicht nur durch physische, sondern auch verbale Gewalt rund um das gesamte Spiel«, sagt er.

Ulf Walther hat die Szenen, die sich am Nachmittag des 4. Februar rund um das Dortmunder Stadion abgespielt haben, noch immer vor Augen. Bereits bei der Ankunft am S-Bahnhof wurden sie bespuckt, »übelst bepöbelt«, wie er sagt, und beworfen. Auf der Strobelallee am Stadion Rote Erde eskalierte die Situation. »Es wurde mit allem auf uns geworfen, was fliegen kann«, erinnert sich Walther: Steine, Flaschen, Dosen, Farbbeutel, Raketen, Mülleimer. Wie »Schlachtvieh« seien sie sich vorgekommen hatten die Bornaer Bullen, Walthers Fanclub, damals in einem offenen Brief an Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke geschrieben. Dass »nur« ein Dutzend Leipziger im Krankenhaus behandelt werden musste, bezeichnen viele, die dabei gewesen sind, als ein Wunder. 168 Strafverfahren eröffnete die damals völlig unterbesetzte und überraschte Polizei im Nachgang, 66 Täter - ungewöhnlich viele - wurden identifiziert.

Walther hat daraus Konsequenzen gezogen und fährt vor dem erneuten Gastspiel von RB Leipzig beim BVB an diesem Sonnabend nicht mit - nicht vordergründig aus Angst vor erneuten Ausschreitungen, sondern »aus Prinzip«. Der 38-Jährige sagt: »Fußball soll Spaß machen, schon die Fahrten sollen Feste sein. Aber auf der Fahrt nach Dortmund könnte ich nicht feiern.« So hat er entschieden: »Ich betrete dieses Stadion nie wieder. Borussia Dortmund bekommt von mir kein Geld für eine Eintrittskarte.«

So wie Walther denken nicht wenige Fans von RB Leipzig, darunter auch viele Familien mit Kindern. Die Zahl der Auswärtsfahrer nach Dortmund hat sich trotz der sportlich reizvollen Konstellation bei der Begegnung zwischen Spitzenreiter und Tabellenviertem auf knapp 3500 verringert - geschützt von 1000 Polizisten. Von den etwa 70 Fans, die in der vergangenen Saison von den Bornaer Bullen dabei waren, bleibt nun etwa die Hälfte lieber daheim. Auch, weil Signale der Reue oder des Gewaltverzichts aus Dortmund von Fans und Verantwortlichen vor der Partie ausblieben. Dass Dortmunds Bürgermeister Ullrich Sierau einige ausgewählte RB-Fans, die damals zu Schaden gekommen waren, nun nach Dortmund eingeladen hat, sieht Walther als gutes Signal. Zehn Leipziger folgten der Einladung. Nur: »Es kommt meiner Meinung nach vom Falschen. Es wäre die Aufgabe des BVB, vor diesem Spiel nochmals darauf einzugehen und sich zu entschuldigen.«

Doch die Dortmunder Verantwortlichen blieben seltsam stumm vor dieser Partie. Aktuelle Interviewanfragen lehnte der BVB »aus terminlichen Gründen« ab. Den Zeitungen der Funke-Gruppe sagte BVB-Boss Watzke: »Grundsätzlich glaube ich, dass alle gelernt haben aus der Situation. Insofern bin ich verhalten optimistisch, dass wir das ordentlich über die Bühne kriegen.« Vielleicht sei es bereits ein Erfolg, sagt Walther bitter, dass Watzke vor diesem Spiel nicht wie in der Vergangenheit gegen RB Leipzig gestichelt habe.

Dabei hätte der BVB genug Gründe, seine Anstrengungen und Maßnahmen gegen die Gewalttäter sowie den versuchten Dialog mit der Fanszene offensiver öffentlich zu machen. Watzke & Co. hatten nach der Gewalteruption intensiv intern und mit Fanvertretern etwa im Fanrat diskutiert. Jedoch offenbar ohne einen wirklichen Konsens zu finden. Letztlich zog die Vereinsführung teils harte Konsequenzen. Insgesamt 40 Stadionverbote sprach der Klub nach dem Spiel aus - etwa 15 gegen diejenigen, die strafwürdige Banner gegen RB gezeigt hatten, die übrigen gegen die Gewalttäter. Zudem wurden etwa die Ultras in ihren Rechten eingeschränkt. Die größte Gruppe »The Unity« musste ihren Verkaufsstand für Sticker, Fanzines und Fanartikel unterhalb der Südtribüne schließen. »Der Verein hat die Fanszene in noch nie dagewesenem Ausmaß abgestraft«, bewertet Thilo Danielsmeyer.

Und die Fanszene? Trotz der Eskalationen im Februar, an der laut Danielsmeyer keine Ultras beteiligt waren, haben die Wortführer vom Bündnis Südtribüne auch diesmal wieder zu einem Protestmarsch gegen RB aufgerufen - etwa 2000 Fans werden erwartet, Start vor dem Fanladen. Die ruhige Nebenstraße wird dann mit Anti-RB-Bannern und -Parolen ein Ort des Hasses sein. »Der Marsch ist für die Ultras wichtig, sie müssen eine Stunde gegen RB singen und ihre Plakate zeigen«, sagt Danielsmeyer. Und: »Ich bin davon überzeugt, dass sie darauf achten werden, dass Gewalt keine Rolle spielen wird. Es geht den Ultras um die Message.« Immerhin. Doch der Grat zwischen Hassgesängen und Hassaktionen ist im Fußball schmal.

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