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Wieso gelang es Rechtsradikalen, die Buchmesse zu prägen?
Der perfide Auftritt der Neuen Rechten wirft Schatten auf die vielfarbige Frankfurter Veranstaltung
Es kam auf dieser Frankfurter Buchmesse – deutlich massiver als in den Vorjahren – zu Tumulten, Rangeleien, Polizeieinsätzen und Strafanzeigen. Es wurde wütend dazwischengebrüllt: »Nazis raus!« Es dröhnte aus Dutzenden Kehlen ein Sprechchor bedrohlich durch die Halle: »Jeder hasst die Antifa!« Eine Faust traf am Rande einer Veranstaltung der rechten Wochenzeitung »Junge Freiheit« das Gesicht eines linken Verlegers, der das Treiben kommentiert hatte. Die Stände rechter Aussteller sollen am Donnerstag und Freitag nach Messeschluss beschädigt worden sein.
Triumph für die Neue Rechte
Dass nun allerorten über diese Vorfälle berichtet wird, auch hier, ist ein Triumph für die Vertreter jener Neuen Rechten, über deren Präsenz auf der Buchmesse schon im Vorfeld gestritten worden war. Um ihrer perfiden Strategie im Kampf um Aufmerksamkeit wirksam zu begegnen, muss man diese Strategie – und das, worauf sie zielt – verstanden haben. Man muss sie beschreiben und einordnen. In »Direkt danach und kurz davor«, dem neuen Roman von Frank Witzel, steht der Wittgenstein parodierende Satz: »Worüber man nicht sprechen kann, muss man reden.«
Versuchen wir es. Und nehmen wir dabei in Kauf, dass dieser Text, der ein Bericht von der Buchmesse werden sollte, sich auf einen einzigen, aber zentralen, Aspekt dieser Veranstaltung beschränkt: den auch auf der Messe tobenden Kampf um die Deutungshoheit über die Geschichte und die Gegenwart, über Deutschland und Europa.
Die Entrüstung linker Aussteller und Messebesucher war aus guten Gründen auf die Aktivitäten eines Verlages fokussiert, der seinen Stand im selben Gang wie »nd« bezogen hatte, seine aufsehenerregenden Veranstaltungen aber auf der großen Bühne des Messeforums »Wissenschaft & Bildung« abhalten konnte – zur Frage warum gerade hier, wird sich die Messe erklären müssen. Der Name dieses Verlages ist insofern von Bedeutung, als er sprechen kann. Um ihn zu verstehen, ist es ratsam, der Geschichte, die er erzählt, zunächst einmal zuzuhören: Antaios, Sohn des Poseidon und der Gaia, ist in der griechischen Mythologie ein gewaltiger Riese, der jeden, der seinen Weg kreuzt, zwingt, gegen ihn zu kämpfen. Weil er seine Kräfte immer wieder neu aus der Erde zieht, auf der er steht, erlegt er jeden seiner Gegner. Aus ihren Schädeln errichtet er seinem Vater einen Tempel.
Wer das selbstgefällige Selbstverständnis des Antaoios-Verlages, der die Neue Rechte wie derzeit kein anderer repräsentiert, prosaischer erklärt haben möchte, kann auf das Buch »Die autoritäre Revolte« von Volker Weiß zurückgreifen. Der Publizist und Historiker erklärte das Phänomen, mit dem er sich seit Langem wissenschaftlich auseinandersetzt, auf einem Messegespräch mit dem Titel »Die Neue Rechte – Faschisten von heute?«. Die verbale Abgrenzung dieser Bewegung vom Nationalsozialismus und vom Antisemitismus, so Weiß, ist zwar bei genauem Hinsehen schwerlich aufrecht zu erhalten, aber zentral für ihre derzeitige Strategie. »Wir sind die Guten«, war denn auch einer der schlichten Slogans, mit denen Antaios auf der Messe zu überzeugen suchte. Die offen zur Schau gestellte Freude der Repräsentanten dieses Verlags über jeden antifaschistischen Störversuch – den sie nicht nur einkalkuliert, sondern erwartet und ersehnt zu haben schienen – gibt Weiß' Analyse recht.
Seinem Buch hat er ein Karl-Kraus-Zitat vorangestellt: »Das religiöse und das patriotische Gefühl lieben nichts so sehr wie ihre Kränkung.« Auf dem Podium sprach er von der »Kultivierung der Opferrolle« als integralem Bestandteil auch des derzeitigen Erfolgsrezepts der Bewegung. Man genieße die »Rolle des Verfolgten«.
Die demonstrative Würdigung der Meinungsfreiheit, die ständige Wiederholung des Dialogangebots an alle, die zum Reden bereit seien, vor allem aber die zumindest während meiner Augenzeugenschaft bestens funktionierende Bändigung ihres zu Dutzenden anwesenden schlagkräftigen Anhangs ließen das Konzept der Rechten, die sich als konservative Revolutionäre gerieren, auf der Messe aus ihrer Sicht voll aufgehen. Immer, wenn einer der teils adrett gekleideten, teils im äußeren Erscheinungsbild von Linken schwer zu unterscheidenden jungen Männer im Publikum sich mit geballten Fäusten umdrehte, weil ihm von hinten eine Gegenparole ins Ohr gebrüllt worden war, schien ein anderer zur Stelle zu sein, der ihn beschwichtigte und vom Zuschlagen zurückhielt. »Wir sind die Guten« – die von oben ausgegebene Parole scheint bis zu einem gewissen Punkt auch unten angekommen zu sein.
Was diese Neue Rechte, deren Arm seit den jüngsten Wahlen bis in den Bundestag reicht, von den Neonazis der neunziger und den Kameradschaften der nuller Jahre unterscheidet, und was sie mit ihnen verbindet, erklärt Volker Weiß plausibel. Rechtsintellektuelle Kreise agierten in der Bundesrepublik seit den sechziger Jahren – in kleinen Zirkeln, Klubs und Instituten, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Ihre Bezüge und Querverbindungen, so Weiß, ließen sich bis in die Zeit der Weimarer Republik, ihr Theoriekanon bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Erst mit dem Erstarken rechter Wutmassen und dem an linkem Aktivismus à la Greenpeace geschulten öffentlichen Agieren der Identitären, gleichsam der Jugendbewegung der Neuen Rechten, sei der vorpolitische Raum verlassen und nun auch das Parlament vereinnahmt worden. Als »Mutterschiff« der Neuen Rechten bezeichnete Weiß die »Junge Freiheit« – heute »die inoffizielle Zeitung der AfD«. Wie zur Bestätigung jener neuen Bündnisse und Vermengungen tauchte auf einer Antaios-Veranstaltung auf der Messe AfD-Rechtsaußen Björn Höcke auf, erklärte die Gegenwart zur »Zeitenwende« und wurde von seinen neurechten Gefolgsleuten als »unser Hoffnungsträger« gefeiert. Auch wenn, wie in Frankfurt am Main geschehen, einem prominenten Repräsentanten der Neuen Rechten, nämlich dem wissenschaftlichen Leiter des sogenannten Instituts für Staatspolitik (IfS), Dr. Erik Lehnert, schon mal das Wort »Volksgenossen« herausrutscht: Für die unbefangene Benutzung des Führer-Begriffs ist es diesen Kreisen wohl noch zu früh.
Interessant sind die Bezüge der Neuen Rechten auf die Vordenker des frühen 20. und des 19. Jahrhunderts vor allem deshalb, weil sie die derzeit kultivierten Berufungen auf Meinungsfreiheit und echte Demokratie rasch ad absurdum führen. Die sich nach 1918 bildende, junge und dynamische Rechte, so Weiß, verstand sich als Attacke auf die junge Republik und in Gegnerschaft zu den Zielen der Aufklärung. Einer ihrer Vertreter war Edgar Julius Jung, der die Demokratie als »Herrschaft der Minderwertigen« definierte. Auch die heute zu beobachtende Kollaboration der Rechten in verschiedenen, nicht nur, europäischen Ländern – Weiß spricht von einer »Internationale der Nationalisten« – lässt sich auf Gedankengut dieses Mannes zurückführen, der übrigens nie von der Deutschen Volkspartei zur NSDAP übertrat und im Zuge der Röhm-Affäre 1934 von den Nazis hingerichtet wurde. Jung wurde ein Opfer der Geister, die er rief.
Heilsam könnte eine Beschäftigung mit den Vordenkern der Neuen Rechten aber auch für diejenigen sein, die der Mär von der AfD als neuer Volkspartei aufsitzen. Gedanken von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit wird man in diesem Theoriegebäude so wenig finden wie im Parteiprogramm der AfD. Sattdessen, so Weiß, ziele die durch und durch elitäre Bewegung auf einen Ständestaat, in dem jedem sein fester Platz zugeschrieben ist. Welche Rolle dabei etwa den Frauen zukommen soll, kann man den Sonntagsreden und Wahlplakaten der AfD entnehmen. Weiß entdeckt hier übrigens frappierende Parallelen zum politischen Islam, zum Weltbild derjenigen also, die die Rechten am schärfsten zu bekämpfen vorgeben. In der Zeitschrift »Sezession«, die wie der Antaios-Verlag und das IfS unter der Fuchtel des auf der Messe auftrumpfenden Götz Kubitschek stehen, sei schon die Aussetzung des Wahlrechts für Frauen und Empfänger von Sozialleistungen diskutiert worden. Die Wiener Bloggerin Stefanie Sargnagel, die nach eigenem Bekunden in Österreich von den dort besonders starken Identitären beobachtet und bedroht wird, drehte den Spieß auf einer der Messebühnen satirisch um und forderte, ohne eine Miene zu verziehen, die Abschaffung des Männerwahlrechts und die Einführung des Matriarchats. Zum Thema der beschworenen Volksgemeinschaft sollte erwähnt werden, dass Kubitschek und seine neurechte Denkfabrik, die auch in Frankfurt nicht müde wurden, gegen das politische »Establishment« zu hetzen, auf einem Rittergut im sachsen-anhaltinischen Schnellroda angesiedelt sind. Elitärer geht es kaum.
Zu den perfiden Strategien des Antaios-Verlags, dessen Symbol bezeichnenderweise die Schlange ist, zählte auf der Messe auch die Vereinnahmung von Autoren und Verlagen, denen diese Umarmung ein Gräuel sein muss. Auf einem eigens zur Messe hergestellten »Wegweiser durch unsere Szene« empfiehlt Antaios nicht lediglich den Gang zur Deutschen Verlagsanstalt (DVA), deren Autor Thilo Sarrazin tatsächlich erheblichen Anteil am Aufstieg der Neuen Rechten hat, sondern auch zu Verlagen mit antifaschistischer Tradition wie Aufbau und Suhrkamp, zu explizit linken Gründungen wie Westend und Papyrossa und zu vielen anderen großen und kleinen Häusern, die eine Nähe zu »unserer Szene« mit gutem Recht von sich weisen werden. Bezogen auf konkret benannte einzelne Autoren, in deren Themen oder Herangehensweisen Überdeckungen mit der eigenen Agenda erkannt werden, suggeriert die Neue Rechte hier eine breite Verankerung quer durch die Buchmesse – und die Gesellschaft. Diese Unterstellung zu entkräften – und aufzuzeigen, wo die gravierenden Unterschiede zu einer propagandistisch bestens geschulten Bewegung liegen, die auf sich die »Arbeit am Epochenwandel« (Götz Kubitschek) auf die Fahnen geschrieben hat, ist eine der dringlichsten Herausforderungen unserer Tage. Wiederholt forderten rechte Aktivisten auf der Buchmesse eine Überwindung der politischen Kategorien links und rechts. Volker Weiß indessen wies darauf hin, dass eine solche »Querfront« für Linke nicht ohne die Aufgabe der linken Position zu haben sei. Statt die gemeinsamen Themen – Kritik an den Medien etwa – zu meiden, müssen die unterschiedlichen Schlussfolgerungen aus dieser Kritik künftig sehr viel deutlicher als bis heute klargemacht werden.
Es hat sich auf der Buchmesse gezeigt, dass der lautstarke Protest ein notwendiger Impuls gegen die Neue Rechte sein mag, aber einer, der nur weiteres Wasser auf die Mühlen der Demagogen gießt. Weniger Störgebrüll und Vandalismus, die es allzu billig machen, als Verhinderung der Meinungsbildung ausgelegt zu werden, und mehr gelassenes Selbstbewusstsein im Umgang mit diesen Rechten wären ein erster Schritt – dem dann aber zwingend ein weiterer, weit wichtigerer folgen muss: das Parteigräben überwindende positive Bekenntnis zu all jenen Errungenschaften der Nachkriegszeit, die von Antaios und Kameraden attackiert werden. Dazu gehören die Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung aller Menschen, der Pluralismus an Meinungen und Lebensweisen, die Zurückweisung jeder Art von Rassismus – und vor allem ein unbedingtes Festhalten an den Zielen der nach 1945 und 1989 hart erkämpften, kontroversen und auch heute in vielen Punkten kritikwürdigen europäischen Einigung. Der österreichische Schriftsteller Robert Menasse, der am Vorabend der Messe für seinen Europa-Roman »Die Hauptstadt« den diesjährigen Deutschen Buchpreis erhielt, brachte es auf einem der Messepodien auf den Punkt: »Das Erstarken des Nationalismus ist logisch, wenn das Gemeinsame nicht funktioniert.« Es funktioniere aber in Brüssel allein deshalb nicht, »weil Nationalstaaten das Funktionieren behindern«.
Mit der griechischen Antaios-Legende gibt uns der gleichnamige Verlag – ob nun bewusst oder nicht – den Weg zu seiner Niederlage recht deutlich in die Hand: Herakles, dem Riesen körperlich um Längen unterlegen, besiegt ihn am Ende mit einer List. Weil er bemerkt, dass Antaios seine Kräfte aus der Erde bezieht, hebt Herakles ihn vom Boden. Derart seiner Wurzeln bloßgestellt und entrissen, ist es dem Helden ein Leichtes, den Riesen niederzuringen.
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