Stützpunkt für den Dschihad

»Islamischer Staat« baut Basen in Italien auf und rekrutiert dort Attentäter

  • Wolf H. Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 3 Min.

Anis Hanachi, mutmaßlicher Kopf des jüngsten Messerattentats in Marseille, ist vor kurzem im italienischen Ferrara festgenommen worden. Von 2014 bis 2016 diente er als so genannter »Foreign Fighter« dem Islamischen Staat (IS) in Syrien und im Irak. Mit seiner Familie und seinem Bruder Ahmed - der im Namen Allahs zwei junge Frauen in Marseille niedergestochen hatte - war Hanachi vor Jahren nach Italien eingewandert und hatte inzwischen die Staatsbürgerschaft angenommen. Anis Amri, der Lastwagenterrorist von Berlin, war mit 18 Jahren über Lampedusa nach Italien eingereist, wo er bis zu dem Attentat zu Weihnachten 2016 lange Zeit lebte. Auch einer der Führer des Terroranschlags vom Bataclan in Paris, Salah Abdeslam, lebte etliche Zeit in Bari. Youssef Zaghba, einer der Terroristen von der London Bridge, lebte mit seiner Familie in Bologna.

Spezialagenten der Carabinieri kommen zu zwei Schlüssen: Erstens rekrutieren sich IS-Zellen auf der Basis familiärer Clans. Zweitens könnte ein bisheriges Verschonen Italiens von Anschlägen damit zusammenhängen, dass die Terroristen ihre Basen nicht gefährden wollen.

Umfragen im hier lebenden muslimischen Milieu bestätigten, dass jeder vierte die »Beweggründe der Terroristen verstehen« könne. Ermittlungen der Spezialeinheit ROS der Carabinieri stellten fest, dass aus Syrien oder dem Irak zurückgekehrte IS-Kämpfer jüngere Familienmitglieder indoktrinierten. Oftmals seien Familienclans mit vermuteten terroristischen Zellen identisch. Der Attentäter auf dem Berliner Weihnachtsmarkt, Anis Amri, suchte Schutz im familiären Umfeld im Norden Mailands und wäre dort untergetaucht, hätte ihn nicht eine Zufallsstreife gestellt.

Allerdings machen die Sicherheitskräfte auch einen neuen Täterkreis aus, den sie »Einsame Wölfe« nennen. Es handelt sich dabei um radikalisierte Einzeltäter, die keiner der bislang bekannten Gefährdergruppen angehören und daher schwer auszumachen und zu überwachen sind. So der Libyer Salman Abedi, der in Manchester auf einem Konzert 22 Menschen mit in den Tod riss.

Innenministerium und Sicherheitskräfte verweisen darauf, dass auch ihre Strategie einer raschen Ausweisung von Gefährdern und ehemaligen Foreign Fighters Grund dafür ist, dass bislang in Italien noch kein Attentatsversuch zum Erfolg kam. In den vergangenen drei Jahren wurden 215 Terrorismusverdächtige außer Landes verwiesen, allein 2017 schon 83.

Die meisten dieser Verdächtigen hatten versucht, in Großstädten unterzutauchen. Zudem konzentrieren sich die Aufenthaltsorte auf den italienischen Norden. Aus Mailand wurden 20 Ausweisungen gemeldet, aus Brescia acht. Allein aus der Lombardei wurden 46 Verdächtige abgeschoben, gefolgt von der Emilia-Romagna mit 25 und Venetien mit 18. Offensichtlich versuchen die mutmaßlichen Terroristen nach ihrer Anlandung auf Lampedusa oder Sizilien, schnell in den italienischen Norden und schließlich von dort in die EU-Länder nördlich der Alpen zu gelangen.

Diese Erkenntnisse der italienische Ermittler sind Wasser auf die Mühlen österreichischer und deutscher Grenzschützer. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass die sich meist im zweistelligen Bereich befindlichen Zahlen von Terrorverdächtigen oder IS-Kämpfern in keiner Weise mit den 200 000 Flüchtlinge korrelieren, die in diesem Jahr in Italien angelandet sind.

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