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Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
EU-Ministerrat einigt sich auf Kompromiss bei Reform der Entsenderichtlinie
Gegen den Widerstand einiger osteuropäischer Regierungen haben die EU-Staaten neue Regeln gegen Lohndumping bei der Entsendung von Arbeitnehmern vereinbart. EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen sagte am Montagabend in Luxemburg, damit werde sichergestellt, »dass Arbeiter für gleiche Arbeit am gleichen Ort die gleiche Bezahlung erhalten«. Eine Neuregelung kann frühestens in vier Jahren in Kraft treten. Gegen den Kompromiss stemmten sich Polen, Ungarn, Litauen und Lettland. Großbritannien, Irland und Kroatien enthielten sich, so dass letztlich 21 Länder die Lösung unterstützten.
»Wir haben eine ausgewogene Vereinbarung erzielt«, sagte Thyssen nach zwölfstündigen Verhandlungen der EU-Arbeitsminister. Sie sei fair für in andere Mitgliedstaaten entsandte Arbeitnehmer und für örtliche Arbeiter und Beschäftigte, die »kein Unterbieten bei Löhnen wollen«. Auch der estnische EU-Ratsvorsitz begrüßte »die breite Unterstützung für unseren Kompromiss«, wie Arbeitsminister Jevgeni Ossinovski erklärte.
Die Änderungen sind eine zentrale Forderung von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der damit den Europaskeptikern und Rechtspopulisten das Wasser abgraben will. Der Präsidialamt in Paris sprach am Montagabend von einem »wesentlichen Schritt, um wieder Vertrauen in Europa zu schaffen«.
Über die Entsendung von Arbeitnehmern wird seit geraumer Zeit gestritten: Nach der ursprünglichen EU-Richtlinie von 1996 darf eine Firma ihre Angestellten befristet zur Arbeit in andere Länder schicken, muss zwar den dortigen Mindestlohn zahlen, nicht aber weitere Gehaltsbestandteile wie Weihnachtsgeld, Prämien oder Schlechtwettergeld und kann weiter Sozialabgaben wie im Heimatland zahlen. Die Osterweiterung der EU hat dazu geführt, dass Firmen aus Polen und anderen osteuropäischen Ländern diese Regelung intensiv nutzen. Unterm Strich verdienen entsandte Arbeitnehmer nach Angaben der EU-Kommission bisweilen nur die Hälfte der Entgelte von einheimischen Kollegen. Derzeit gibt es rund zwei Millionen vor allem im Baugewerbe und im Pflegebereich.
Künftigen müssen für entsandte Arbeitnehmer die allgemeinverbindlichen Tarifverträge des Gastlandes gelten und an sie auch die anderen Gehaltsbestandteile gezahlt werden. Umstritten in den Verhandlungen waren zuletzt insbesondere drei Punkte: die Dauer der Entsendung, das Datum für den Start der Reform und die Frage der Einbindung des Speditionsgewerbes. Die Minister einigten sich darauf, die Entsendungen auf maximal 18 Monaten zu begrenzen. Nach zwölf Monaten muss dabei ein gesonderter Antrag auf Verlängerung gestellt werden. Er fiele dann aber unter dessen gesamtes Arbeitsrecht, zum Beispiel auch den Kündigungsschutz. Frankreich hatte wie Deutschland nur für zwölf Monate plädiert.
Das Startdatum für die neue Regelung liegt nun vier Jahre nach der Verabschiedung, für die noch eine Einigung mit dem Europaparlament nötig ist. Frankreich hatte zwei Jahre verlangt, Deutschland sich für drei Jahre ausgesprochen.
Beim Speditionsgewerbe sollen vorerst weiterhin die Regeln der alten EU-Entsenderichtlinie gelten. Neue Regelungen sollen zu einem späteren Zeitpunkt in einer Reform einer EU-Richtlinie zum Transportsektor festgehalten werden. Beim Speditionsgewerbe sorgten sich nicht nur osteuropäische Staaten um die Auswirkung auf ihre Lastwagenfahrer; auch Spanien und Portugal fürchteten hier Nachteile.
Polens Arbeitsministerin Elzbieta Rafalska begründete die Ablehnung damit, dass die Ausnahmen für Lkw-Fahrer nicht eindeutig genug formuliert seien. Im Sommer hatte die Reform der Richtlinie zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen Macron und der polnischen Regierung geführt. Frankreichs Staatschef warf Warschau vor, sich »bei vielen Themen europäischen Interessen« entgegenzustellen. Die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo bezichtigte Macron daraufhin der Arroganz.
Die jetzige Einigung sei »kein Bruch zwischen Ost und West«, sagte die französische Arbeitsministerin Muriel Pénicaud nach dem Ministertreffen. »Es gibt keine Gewinner oder Verlierer heute - nur Europa gewinnt«. AFP/nd
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