Abgesang und Aufbruch

Nach dem Ende der Ära Correa versucht Ecuadors neuer Präsident Moreno, die Korruption zu bekämpfen und eine neue politische Kultur zu etablieren. Von Ximena Montaño

  • Ximena Montaño
  • Lesedauer: 9 Min.

Rafael Correa ist für viele Menschen eine Lichtgestalt inmitten des Elends von Rechtspopulismus und Neoliberalismus, das die Weltpolitik derzeit prägt. Zwar ist Correa nicht mehr Präsident von Ecuador, aber seine Partei Alianza País hat immerhin im Frühjahr die Wahlen gewonnen - im Unterschied zu Argentinien und Brasilien, wo die traditionelle Rechte wieder an der Regierung ist. Es gibt also noch Hoffnung für den progressiven Kontinent Lateinamerika. Correa steht, aus der Ferne betrachtet, für bestimmte Werte: Er war immer auf der Seite der einfachen Leute, hat die Armut verringert, eine antiimperialistische Außenpolitik betrieben, die Weltbank aus dem Land geworfen. Er steht für Ehrlichkeit, Transparenz - ein aufrechter Kämpfer für linke Ideale.

Nur kann er heutzutage sein eigenes Land nicht mehr betreten. Wenn er es täte, stünden die Chancen gut, dass er wegen Korruptionsverdachts in Untersuchungshaft käme. Dieses Schicksal hat am 2. Oktober seinen Vizepräsidenten Jorge Glas ereilt, den Correa per Twitter immer noch voller Pathos verteidigt: »Ein ehrlicher Mann hat seine Freiheit eingebüßt. Die Welt möge erzittern!«, schrieb er beispielsweise am darauffolgenden Tag. Solche Szenen hat Ecuador in den vergangenen Jahren und Monaten bereits mehrfach mit hohen Funktionären der Correa-Regierung erlebt: mit dem Präsidenten der Zentralbank, dem Erdölminister, dem obersten Rechnungsprüfer - die sich im Unterschied zu Glas jedoch allesamt rechtzeitig nach Miami absetzten. Rafael Correa verbürgt sich stets für seine hochrangigen Mitarbeiter, selbst wenn die Indizien schon so unwiderlegbar auf dem Tisch liegen, dass man sich für ihn zu genieren beginnt. Wenn die Indizien dann zu Beweisen werden, bringt er sein tiefes Entsetzen zum Ausdruck darüber, dass er verraten und getäuscht worden ist. Er selbst besteht darauf, als der größte, beste Präsident Ecuadors in die Geschichte einzugehen, und sendet nun seine Samstagsansprachen - während seiner Amtszeit eine institutionelle Machtinszenierung mit riesiger Bühne, Hunderten von »Jubelpersern« und Liveübertragung auf allen Kanälen - per Internet aus einer Dachkammer in Belgien. Dort, im Heimatland seiner Frau, lebt er seit Juli mit der Familie. »Der Irre aus der Dachkammer«, so bezeichnet ihn ein in Ecuador populärer Hashtag. In der Tat macht Correa in letzter Zeit oft den Eindruck, als verstünde er die Welt nicht mehr, seit sie sich nicht mehr um ihn dreht.

»Verrat« und »weicher Putsch« sind zwei sehr beliebte Vokabeln bei den Funktionären von Alianza País, der Partei von Correas Bürgerrevolution. Der Expräsident wendet sie sogar gegen seinen Parteigenossen und Nachfolger an, Präsident Lenín Moreno, der seit dem 24. Mai im Amt ist. Der 64-jährige Moreno stammt aus einem kleinen Ort im Amazonasgebiet an der Grenze zu Peru. 1998 wurde er Opfer eines bewaffneten Raubüberfalls in Quito und sitzt seitdem im Rollstuhl. Als Vizepräsident von Rafael Correa 2007-2013 machte er sich vor allem durch die Misión Solidaria Manuela Espejo einen Namen, ein neues, landesweites Programm zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen, das rund 300 000 Menschen umfassend unterstützte und international hoch gelobt wurde. 2013 beschloss Moreno, nicht mehr für das Amt des Vizepräsidenten zu kandidieren, und wurde von den Vereinten Nationen als Sondergesandter für Behinderung und Barrierefreiheit nach Genf berufen. Für die Wahlen in diesem Frühjahr kehrte er von dort zurück.

Bis zu den Wahlen sah es so aus, als wäre Lenín Moreno ein treuer Gefolgsmann Correas, bereit, vier Jahre zu regieren, um dann die Rückkehr des eigentlichen, unbestrittenen Chefs der Bürgerrevolution zu ermöglichen. Die Option auf dessen unbegrenzte Wiederwahl war Ende 2015 mithilfe der Zweidrittelmehrheit, die Alianza País damals im Parlament hatte, im Rahmen einer Verfassungsreform verabschiedet worden, trotz massiver Proteste aus der Bevölkerung. Die Reform beinhaltete unter anderem ein Streik- und Organisierungsverbot im öffentlichen Dienst, grünes Licht für Einsätze des Militärs in Sachen innere Sicherheit sowie eine Einschränkung von Volksabstimmungen, die seitdem nur von der Regierung, also von oben angestoßen werden können. Um der politischen Stabilität willen und auch weil die Umfragen eindeutig für Moreno sprachen, wurde Correas Kandidatur für die Wahl im Frühjahr 2017 einmalig ausgesetzt. Doch mit dem temporären Umweg über Lenín Moreno, der knapp gegen den konservativen Bankier Guillermo Lasso gewann, sollte schließlich doch noch alles gut werden.

Doch schon wenige Wochen nach dem Wahlsieg von Moreno waren sich der Präsident und sein Vorgänger spinnefeind. Aus seinem selbstgewählten Exil twittert Correa ununterbrochen Beschimpfungen: »Mittelmäßig« sei Moreno, »illoyal«, ein »Verräter«, der mit der »Rechten gemeinsame Sache mache« und über die Wirtschaftslage des Landes »lüge«. Correa selbst hatte behauptet, ökonomisch einen »gedeckten Tisch« zurückzulassen, an dem man sich nur noch bedienen müsse. Doch nachdem Moreno die Staatsfinanzen geprüft hatte, läutete er die Alarmglocken: Das kleine Land sei viel höher verschuldet als angegeben und damit kaum manövrierfähig, allein acht Milliarden Dollar jährlich seien notwendig, um das Haushaltsdefizit und den Schuldendienst abzudecken.

Bisher hat Moreno wirtschaftspolitisch noch keine Richtung vorgegeben - und auch sonst weiß niemand, wohin er das Land eigentlich führen will. Er hat lediglich einen bewussten Bruch mit dem Regierungsstil seines Vorgängers herbeigeführt, was die Nomenklatura von Alianza País zutiefst verunsichert. Denn das bedeutet die allmähliche Demontage des nach allen Seiten hin abgesicherten Machtapparats, der seit Jahren sowohl die Bereicherung einer neuen Politikerkaste als auch die autoritäre Durchsetzung offizieller Wahrheiten ermöglicht hatte.

Lenín Moreno rief nicht nur alle politischen und organisierten Kräfte des Landes zum Dialog auf. Er tauschte die linientreuen Chefredakteure der staatlichen Medien aus und forderte die privaten Medien offensiv auf, investigativ und kritisch zu berichten, gerade im Kontext von Korruption; dieselben Medien, die unter Correa stets der Lügen bezichtigt und mit Gerichtsverfahren überzogen worden waren, bis schierer Überlebenswille bei vielen Selbstzensur zur Regel machte. Kritisch wurde in Ecuador in den vergangenen Jahren nur noch auf Blogs berichtet.

Die neue Haltung gegenüber den Medien hatte bereits eine Serie von Enthüllungen zur Folge; unter anderem wurde aufdeckt, wie Correas Machtclique ausnahmslos alle staatlichen Institutionen - insbesondere die öffentlichen Kontrollinstanzen, das Verfassungs- und Wahlgericht sowie die Justiz - direkt von der Exekutive aus gesteuert hat. Und wie man bei eventuellem Ausscheren schnell seinen Job verlieren konnte: E-Mails kamen zum Vorschein, in denen die oberste Justizverwaltung um die Entlassung von Richtern gebeten wird, weil diese Klagen gegen den Staat stattgegeben oder Umweltschützer freigesprochen hatten; oder Tweets, in denen der Geheimdienst SENAIN direkt aufgefordert wird, gegen Kritiker vorzugehen - »SENAIN, bitte kümmern«.

Auf einem Video ist der Onkel des Vizepräsidenten Jorge Glas zu sehen, wie er dicke Geldbündel in eine Reisetasche stopft, wie in einem Gangsterfilm. Dieser Onkel führte die Verhandlungen um große Verträge mit China, in denen es etwa um Öl, Bergbau und Kredite geht, obwohl er keinerlei Staatsamt innehatte. Glas behauptete im Takt der Enthüllungen zunächst, ihn gar nicht zu kennen; dann, ihn nur an Weihnachten zu sehen; dann, dass er ausschließlich wegen seines Satelliten-Fernsehsenders mit ihm per E-Mail kommuniziert habe; schließlich, dass er doch auch nichts dafür könne, einen so korrupten Verwandten zu haben.

Der wichtigste Vorwurf von Correas Gefolgsleuten gegen Lenín Moreno, der auch gern von linken Medien im Ausland kolportiert wird, lautet, er würde mit der Rechten gemeinsame Sache machen. Doch bisher hat der neue Präsident sich lediglich im Rahmen eines umfassenden Dialogprogramms mit konservativen Politikern an einen Tisch gesetzt - wie auch mit Linken, Indigenen, Unternehmern, Gewerkschaften. Dass er von Konservativen für die Wiederherstellung einer lebendigen politischen Debatte im Land gelobt wird, macht ihn noch lange nicht zu ihrem Komplizen. Vielmehr liegt es in der Verantwortung der Führungsriege von Alianza País, dass Themen wie Meinungsfreiheit, Organisationsfreiheit, Pressefreiheit, Gewaltenteilung und Transparenz in den vergangenen Jahren von der politischen Rechten vereinnahmt werden konnten.

Gleichzeitig wird Ecuador immer tiefer in den Korruptionsskandal hineingezogen, der rund um die Verträge des brasilianischen Baukonzerns Odebrecht die ganze Region erschüttert und als der größte Bestechungsskandal der Geschichte Lateinamerikas gilt. Er wirkt weit über die Grenzen Brasiliens hinaus: Derzeit wird gegen hochrangige, progressive wie neoliberale Politiker und Expräsidenten aus 15 Ländern ermittelt, die allesamt Schmiergelder entgegengenommen haben sollen. Unter anderem sitzen der peruanische Expräsident Ollanta Humala und seine Frau deshalb in Untersuchungshaft, und jetzt eben auch der ecuadorianische Vizepräsident Jorge Glas. Marcelo Odebrecht, Kopf des Odebrecht-Konzerns, war bereits 2015 verhaftet und zu 19 Jahren Haft verurteilt worden. Dank Kronzeugenregelung benennen er und weitere Manager derzeit nach und nach die Empfänger der Millionenschmiergelder, die Odebrecht ein Quasi-Monopol bei großen Infrastrukturvorhaben in Lateinamerika verschafft hatten.

Der tiefe Riss, der Alianza País heute durchzieht, ist nicht mehr zu kitten. Was ist die bessere Strategie, um die eigene politische Zukunft zu retten? Das fragen sich derzeit zahlreiche Wendehälse: zu Correa halten, der als einziger in der Lage wäre, den Sumpf aus Korruption, der offenbar zehn Jahre lang gewachsen ist, wieder trockenzulegen, oder sich rechtzeitig auf die Seite der »rückhaltlosen Aufklärung« und damit auf die Seite Morenos zu schlagen?

So feiert die Doppelmoral auch im Sozialismus des 21. Jahrhunderts fröhliche Urständ. Die Weltbank wurde von Correa längst nach Ecuador zurückgeholt, in den vergangenen Jahren stieg die Armut wieder, und vom Antiimperialismus bleibt nur hohle Rhetorik. Die jüngsten Fakten legen nahe, dass die Anführer der Bürgerrevolution den durch die hohen Ölpreise bewirkten Geldsegen nicht nur in die Infrastruktur des Landes, sondern zu einem erheblichen Teil auch in die eigenen Taschen gesteckt haben. Unbeirrt behauptet der harte Kern um Correa dennoch bis heute, man habe stets eine »Revolution der Ethik« vorangetrieben und Korruption bis aufs Messer bekämpft. Dabei ist noch nicht ansatzweise aufgeklärt, wie viel Geld rund um die Öl- und Bergbaugeschäfte mit China versickert ist.

Anfang kommenden Jahres soll nun ein Referendum abgehalten werden, mit dem Moreno seine Position konsolidieren und den Rivalen Correa endgültig aus dem Rennen werfen will. Sieben Fragen hat er dem Verfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt, unter anderem die nach der Abschaffung der unbegrenzten Wiederwahl. Auch wenn das für eine wirkliche Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse nur kleine, zaghafte Schritte sind, so beinhaltet die aktuelle Situation doch eine Chance für Ecuador und die Linke. Die Chance, doch noch aus der Geschichte zu lernen: nämlich dass Emanzipation nicht von Lichtgestalten ausgeht, die an der Spitze eines pyramidalen Machtapparats stehen, sondern von unten links, und dass sie einer lebendigen, organisierten, kritischen Öffentlichkeit bedarf, die sich an der politischen Debatte um die Zukunft aktiv beteiligt.

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