China will zurück auf die Weltbühne

Der Sinologe Falk Hartig über den XIX. Parteitag der mit 78 Millionen Mitgliedern zweitgrößten Partei der Welt

  • Alexander Isele
  • Lesedauer: 8 Min.

Die Gedanken von Xi Jinping wurden von den Delegierten des XIX. Parteitags der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) in die Parteiverfassung aufgenommen. Was ist damit gemeint, was sind die Gedanken Xis?
Das ist gleich zu Anfang die große Frage. Da muss unterschieden werden zwischen einerseits, was sind die Gedanken, und andererseits, was bedeutet es, dass sie aufgenommen wurden? Zu ersterem: Xis Rede dauerte dreieinhalb Stunden, da kam eine Menge zusammen und die Exegese, so muss man das ja sagen, dauert noch an. Sehr deutlich geworden ist allerdings schon jetzt, dass Xi China wieder zurück auf die Weltbühne bringen möchte, die er als Chinas rechtmäßigen Platz empfindet. Er sieht wohl eine strategische Möglichkeit darin, das Vakuum zu füllen, was durch den Isolationismus der USA unter Trump entsteht.

Und innenpolitisch?
Innenpolitisch ist es sehr stark erkennbar, dass es einen Trend zur Re-Ideologisierung gibt, was sich auch vorher schon abgezeichnet hat. Es geht ganz klar darum, dass die Partei das Maß aller Dinge ist und daran nicht gerüttelt wird. In der Rede hat Xi auch dargestellt, welche Probleme es in China gibt. Zwar sagt er immer, China befindet sich im Aufschwung und alles ist gut. Aber er sagt auch, mal deutlicher, mal verschwurbelter, was alles gemacht werden muss: wir müssen uns um Kultur kümmern, wir müssen uns um die Moral kümmern, wir müssen uns um die Umwelt kümmern - da kommt einiges zusammen.

Was sind die Probleme, vor denen die KPCh steht?
Die KPCh muss die Antikorruptionsmaßnahmen weiterführen. China, oder die Partei, was ja in dem Fall das gleiche ist, muss sich um die Lebenssituationen der Menschen kümmern. Das sagt Xi auch. Umweltschutz, Lebensmittelsicherheit oder Wohnungspreise spielen da eine große Rolle. Xi spricht auch sehr deutlich davon, dass die Partei ein »schönes China« kreieren möchte und bezieht das unter anderem explizit auf die Umwelt. Das ist ein sehr deutlicher Hinweis, dass es da ein großes Problem gibt. Dann muss auch die Wirtschaft weiter wachsen, wobei auch da ein Umdenken zu erkennen ist, dass es nicht mehr um die reine Quantität, sondern auch zunehmend um ein qualitativ höherwertiges Wirtschaftswachstum geht. Dazu will Xi alles dafür tun, dass die Partei weiterhin der einzige selig machende Akteur in China bleibt.

Xi hat es nicht geschafft, seinen engsten Vertrauten, Wang Qishan, im siebenköpfigen Ständigen Ausschuss, dem Machtzentrum innerhalb des Politbüros, zu halten. Hat Xi vor der Partei eine Niederlage erlitten?
Das ist spekulativ, letztendlich weiß kein Kommentator, was dort passiert ist und was die entscheidenden Leute hinter den Kulissen denken. Vielleicht war es auch ein Kompromiss innerhalb der Partei, in der es auch Strömungen gibt, die aufgrund Xis Anti-Korruptionskampagne unzufrieden sind. Eine dritte Interpretation wäre, dass er sich doch in gewisser Weise an den Parteikonsens und die Traditionen der kollektive Führung gebunden fühlt. Ich würde eher dazu tendieren, dass es ein Anzeichen dafür ist, dass er vielleicht doch nicht der alleinige Machthaber in der Partei ist.

Xis Vorgänger haben nach ihrer ersten Amtszeit einen Nachfolger installiert. Nun sind alle Nachnominierten im Ständigen Ausschuss bereits über 60 Jahre. Will Xi über das Jahr 2022 hinaus an der Macht bleiben?
Auch das ist schwierig zu sagen. Wenn man die Vergangenheit heranzieht und die informellen Regeln betrachtet, wird es wohl keiner derer, die jetzt aufgerückt sind, weil die zu alt sind. Das heißt aber nicht, dass es nicht doch einer von ihnen werden könnte. Die Frage, ob er selber weiter macht, bleibt also nach wie vor spannend und die Beobachter in China und im Ausland können darüber die nächsten Jahre vorzüglich spekulieren.

Damit kommen wir zurück zur ersten Frage …
… und der Tatsache, dass Xis Gedanken im Parteistatut festgeschrieben wurden. Damit wird er solange er lebt eine sehr prominente Rolle in China spielen. Salopp könnte gesagt werden, ihm kann es egal sein, wer künftig unter ihm Generalsekretär ist.

Können Sie das erläutern?
Jeder chinesische Generalsekretär ist mit seinen Gedanken im Parteistatut verankert und verewigt, das gilt auch für Xis Vorgänger Jiang Zemin und Hu Jintao. Der entscheidende Unterschied ist, bei Xi sind die Gedanken direkt mit seinem Namen verbunden und heißen daher »Xi Jinping Gedanken zum Sozialismus chinesischer Prägung in einer neuen Ära«. Damit steht Xi auf einer Stufe mit Mao und Deng Xiaoping. Aber: Der Begriff »Sozialismus chinesischer Prägung« ist an sich nichts Neues, der Terminus stammt aus den frühen 80er Jahren. Und er ist auch nicht so einprägsam wie »Mao Tsetung-Ideen« oder »Deng Xiaoping-Theorie«. Das könnte auf einen Kompromiss der Partei hindeuten. Unterm Strich ist es sehr bedeutsam, dass er schon nach fünf Jahren namentlich genannt wird. Nachfolgende Generalsekretäre müssen sich auf Xi und seine Ideen beziehen, daran kommt niemand mehr vorbei. Ob die Machtfülle nun wie unter Mao wird, bleibt abzuwarten.

In Xis erster Amtszeit gab es eine Verschärfung der Zensur und auch eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen. Mit der Tendenz zum Autoritären: Wie geht es weiter für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und für die Zivilgesellschaft, da sich die Partei in ihrer Rolle als alleinige treibende Kraft Chinas noch einmal bestärkt hat?
Das ist eine sehr wichtige Frage. In seiner Rede wird deutlich: Die Führung der Partei ist für Xi essenziell. Xi hat einen Satz benutzt, der seit Mao nicht mehr benutzt wurde: »Die Partei leitet alles an: Regierung, Militär, Volk, Erziehung, Ost, West, Süd, Nord und das Zentrum«. Das war zu Maos Zeiten eine stehende Wendung: die Partei kümmert sich um alles. All diejenigen, die möglicherweise ein Problem mit der Partei haben, werden es sicherlich nicht leichter haben. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass es zu einer innenpolitisch-gesellschaftlichen Entspannung kommt.

US-Präsident Barack Obama hatte ja das »Pazifische Jahrhundert« ausgerufen. Für Trump scheint die Region erst mal nicht so wichtig. Was bedeuten Xis Großmachtansprüche für die Region?
Zu Hongkong und Taiwan war Xi sehr deutlich und hat gesagt, China werde keinerlei Abspaltung dulden, von niemandem. Xi, der auch der Vorsitzende der Militärkommission ist, sagt klar, was er will: eine starke Armee, die wenn nötig auch Kriege führen müsse, und den Platz auf der Weltbühne, den China historisch einnahm. Dazu tritt es das Land viel selbstbewusster auf, eine Abkehr von der außenpolitischen Doktrin Deng Xiaopings ist offensichtlich. Deng wollte sich vor allem ums Innere kümmern und nach Außen ruhig bleiben. Xi sieht das anders, und strategischen Möglichkeiten, die sich durch den partiellen Rückzugs der USA unter Trump bieten, spielen China in die Karten. China ist auf absehbare Zeit ein Akteur auf der Weltbühne, der sehr viel aktiver seine Interessen durchsetzen wird, ob das dem Westen gefällt, oder nicht. China ist bereits sehr viel stärker in seiner Region aktiv, vermittelt aber auch zum Beispiel in Afghanistan oder Syrien.

An Chinas Außengrenze droht der Nordkoreakonflikt zu eskalieren. Wie reagiert China?
Ich glaube, China wird nach wie vor alles tun, dass Nordkorea nicht zusammenbricht. Gleichzeitig wird es alles versuchen, dass es nicht zu einer kriegerischen Situation in seiner Nachbarschaft kommt. Trotz allen aggressiven oder selbstbewussten Auftretens nach außen geht es darum, eine friedliche Umgebung zu schaffen. Schlussendlich ist die essenziell für die weiter Wirtschaftsentwicklung. Nach wie vor gilt in China, dass die Außenpolitik der Innenpolitik dienen soll, indem sie die wirtschaftliche Entwicklungen ermöglicht. Wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst, dann geht es an die Substanz, dann wird die Legitimation der Partei infrage gestellt. Im November besucht Trump Peking, vielleicht zeigt sich da, ob die Führung einen konkreteren Nordkorea-Plan hat.

Die KPCh feiert bald zwei hundertjährige Jubiläen: 2021 jährt sich der hundertste Gründungstag der Partei, 2049 der der Volksrepublik. Wie wichtig sind diese Jubiläen?
Auf dem Parteitag 2002 wurde das Hundert-Jahre-Ziele festgelegt. Bis 2021 soll eine Gesellschaft mit wenigstens bescheidenem Wohlstand geschaffen werden, bis 2049 das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt auf das Niveau eines Schwellenlandes gehoben werden. Formal ist Xi der Generalsekretär, der den Geburtstag der KPCh feiert. Somit hat er die Chance, sich so in die Parteihistorie einzuschreiben. Die Partei hat schon immer langfristig gedacht. In der gesamten chinesische Geschichte, was sind da schon 10 oder 15 Jahre?

Denkt die Partei historisch, also Dynastien-mäßig?
Die Partei denkt auf jeden Fall historisch, wobei der Begriff Dynastie ein Problem ist. Der Zyklus der chinesischen Geschichte verlief so: eine Dynastie kam an die Macht, indem sie die vorherige Dynastie kritisierte, den Unmut der Bevölkerung aufgriff, gegen die Mächtigen vorging und letztlich ihre eigene Dynastie gründete. Zu ende gedacht würde das bedeuten, das die Dynastie der Kommunisten auch mal vorbei sein würde. Ich gehe davon aus, dass die Partei sich damit auseinandersetzt, aber das wird nicht nach außen kommuniziert. Die Rhetorik ist aber klar historisch: Es wird immer wieder gesagt, dass das Jahrhundert der Schande vorbei sei und China nun wieder zurück auf die Weltbühne komme. Das »Reich der Mitte« ist für viele Chinesen quasi Selbstbild.

Und die Seidenstraße ist das Mittel, um zu alter Größe zurückzufinden?
Die Seidenstraße ist ein Mittel zu diesem Zweck. Wobei man nicht vergessen sollte, dass sie auch aus einer innenpolitischen Notwendigkeit heraus entstand. Sie ist quasi ein Konjunkturprogramm: Es gibt für die Firmen in China keine Häfen, Flughäfen oder Eisenbahnstrecken mehr zu bauen. Deshalb machen sie nun im Ausland weiter, mit den finanziellen Mitteln der Regierung. Gleichzeitig ist diese Initiative durchaus auch ein außenpolitisches Zeichen, das China mit Europa verbindet und an alte Größe anknüpft. Aber auch da muss abgewartet werden, was letztendlich gemacht wird. Da habe ich manchmal das Gefühl, dass es durchaus eine Diskrepanz gibt zwischen den angekündigten Investitionen und den tatsächlich investierten Geldern.

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